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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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auf den Knauf seines Schwertes. Dann gab er zweien seiner vier Gehilfen ein Zeichen, auf dass sie losliefen, um Johannes vom Berge zu holen.
    Voller Ehrfurcht vor dem, was sich gleich ereignen würde, gaben die Gaffenden eine Gasse für die Männer frei, welche den Unglücklichen aus seinem hölzernen Käfig auf dem Pferdewagen hin zu der Stätte seiner Hinrichtung führen sollten. Einige unter den Zuschauenden fragten sich, was ein Mann im Angesicht seines Todes wohl dachte, andere wiederum empfanden scheinbar Mitleid und blickten betreten.
    Über eine Planke führte man den in Ketten liegenden Johannes vom Berge aus seinem Gitterwagen durch die Menge. Sein Antlitz war blass und seine Gestalt dünn und schmutzig, doch noch wies sein Äußeres keinerlei Spuren von Folter auf. Keine blauen Flecken, kein Blut. Nichts ließ vermuten, dass dies der Tag seines Todes sein sollte – nichts, außer seinem Blick: weit aufgerissene Augen, schmal der Mund. Er war von Angst gezeichnet. Auf seiner Stirn waren trotz des kalten und bewölkten Tages, der fast schon zum Winter zählte, kleine Schweißtropfen zu erkennen. So schritt er den schmalen Pfad entlang, der sein letzter sein sollte.
    Noch immer war es totenstill auf dem Platz vor dem Rathaus. Fast hätte man den Eindruck gewinnen können, dass Mitgefühl die Münder verschloss. Doch die grausame Wahrheit war, dass der größte Teil der Anwesenden nur darauf wartete, dass einer die erste Schmähung ausstieß. Sie sollte nicht lange auf sich warten lassen!
    Mit einem ekelerregenden Geräusch sammelte ein Jüngling etwas Spucke in seinem Mund und rotzte diese kurz entschlossen ins Gesicht des Verurteilten, der ihn gerade passierte.
    Johannes vom Berge war darauf vorbereitet gewesen und versuchte Haltung zu bewahren, doch auf das, was jetzt kam, hatte er sich nicht vorbereiten können. Die eben noch stumm gaffende Meute kannte plötzlich kein Erbarmen mehr. Jene Skrupel, die die meisten unter ihnen eben noch davon abgehalten hatten, den ersten Stein zu werfen, waren wie fortgeblasen. Jetzt wollten sie Blut sehen – sein Blut!
    Gefolgt von Flüchen und wüsten Beschimpfungen, warfen sie altes Obst und Gemüse zusammen mit Steinen und dem Kot der Tiere und Menschen von den Straßen nach dem Schuldigen, der wenig später vor Ekel und unter Schmerzen zuckte.
    »Abschaum bist du, du Verräter!«
    »Gleich wirst du Höllenqualen leiden, wie du es verdient hast!«
    »Hier, friss dich noch ein letztes Mal richtig voll, bevor du zum Teufel fährst!«, schrie eine zahnlose Alte, bevor sie ein grünlich pelziges Brot nach dem Verurteilten warf.
    Johannes vom Berge hatte die hölzerne Anhöhe vor dem Rathaus nun fast erreicht. Er rang mittlerweile so deutlich nach Atem, dass er bloß noch keuchte. Überall an seinem Körper klebte eine stinkende Masse aus dem, was man auf ihn geworfen hatte. Die beiden Gehilfen des Scharfrichters, die ihn links und rechts festhielten, und die ebenso einiges abbekommen hatten, mussten ihn beinahe tragen. Wieder und wieder versagten ihm seine Füße den Dienst. Die offensichtliche Tatsache, dass es nicht einen einzigen Hamburger gab, der um ihn trauern würde, ließ Johannes starr vor Schreck werden und mehrte seine Angst vor dem, was gleich kommen würde. Es war nun um jede Beherrschung geschehen – für wen lohnte es auch noch, diese aufrechtzuerhalten? Nicht einmal sein Weib war hier, denn seit dem Tage seiner Festnahme hatte man sie ins Kloster Buxtehude zu den Benediktinerinnen im Bistum Verden geschickt, welches sie bis zu ihrem Tode nie wieder würde verlassen dürfen.
    Kaum hatten die Männer den ersten Fuß auf die hölzerne Richtstätte gesetzt, gab Vromold seinen beiden übrigen Gehilfen den Befehl: »Packt ihn, und fesselt ihn gut, damit er nicht zappelt, während ich meine Arbeit tue.«
    Die Männer gehorchten sofort. Sie ergriffen Johannes’ gefesselte Arme und Beine und schleppten ihn wie ein Stück Vieh zum Platz seines Todes.
    In diesem Moment begann er zu schreien. Es waren wilde und unkontrollierte Schreie, die keine wirklichen Worte enthielten. Vielmehr versuchte er, durch sein Schreien Kraft zu sammeln, um sich aus dem Griff der Schergen zu lösen, doch es war hoffnungslos. Jedes Zerren und Winden waren vergeblich. Mit unglaublicher Brutalität wurde er von den vier Männern rücklings auf die Planken gelegt und an den Gliedmaßen festgebunden, sodass er mit von sich gestreckten Gliedern vor dem Scharfrichter lag. Johannes schrie nun

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