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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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sich, mit mir zu sprechen. Er ist so zornig, vielleicht bekommst du etwas aus ihm heraus.«
    »Ich werde es versuchen«, versprach er und betrat das Haus. Er brauchte erst gar nicht zu fragen, wo der Junge sich aufhielt, denn das Poltern und Schimpfen war durch jede Tür zu hören. Als Godeke in Ehlers Kammer trat, sah er gerade noch, wie dieser sich die Kappe vom Kopf riss, die alle Schuljungen trugen, und diese voller Wut auf dem Boden warf. »Darf ich erfahren, was deine Kappe dir getan hat?«
    Der Junge fuhr herum. Zornig funkelte er seinen Muntwalt an. »Nein, darfst du nicht. Geh!«
    Godeke musste an sich halten, damit er den Jungen nicht gehörig zurechtwies. Er konnte sehen, dass es ihm schlecht ging, doch solch freche Worte waren natürlich unangebracht. »Ich werde nicht gehen und du wirst nicht so mit mir sprechen, verstanden?«
    Ehler blickte zu Boden. Dann trat er seine Kappe in eine Ecke.
    »Sag mir, was los ist!«, forderte Godeke erneut. »Ich werde nicht gehen, bis du es mir gesagt hast. Wenn du mich loswerden willst, solltest du sprechen.«
    Der Junge hatte nicht die geringste Lust zu reden, doch bedauerlicherweise kannte er die Beharrlichkeit seines Gegenübers. Machtlosigkeit hatte ihn heute schon einmal verzweifeln lassen, und jetzt übermannte sie ihn erneut. Ehler wandte sich ab, damit Godeke seine Tränen nicht sah. Mit zitternder Stimme gestand er: »Unser Kantor, er hat mir heute gesagt, dass ich das Singen in der Dur-Tonart am besten von allen beherrsche …«
    Godeke ahnte bereits, was nun kam.
    »… er sagte mir, dass ich nun bereit wäre, ins Marianum zu wechseln.«
    Diese Nachricht kam tatsächlich überraschend! Godeke fiel auf, dass er sein Mündel noch nie hatte singen hören. Wenn er in diesen jungen Jahren bereits ins Marianum wechseln sollte, musste er wirklich gut sein. Doch natürlich war das nicht von Belang. Einem kläglichen Versuch folgend, Ehler aufzuheitern, sagte er: »Ich weiß, dass du ein Nikolait von ganzem Herzen bist, doch sieh es mal so: Nach dem Wechsel wirst du jeden Tag mit Thymmo zusammen sein können.«
    Ehler drehte sich ruckartig um. Seine rotgeweinten Augen auf Godeke gerichtet, spie er wütend aus: »Warum sollte mich das freuen? Auch Thymmo ist nur einer der verdammten Marianer, und ich hasse sie alle!«

3
    Erst mitten in der Nacht waren sie auf der Riepenburg angekommen. Keinen Tag später hätten sie aus Hamburg losziehen dürfen. Schon morgen wäre der immerwährende Schnee, der unaufhörlich fiel, für die Wagen aus Eccards Gefolge nicht mehr zu durchdringen gewesen.
    Alle waren froh gewesen, als sie endlich in ihren Betten lagen, und dennoch, der wenigen Stunden Schlaf zum Trotz, hatte Albert sein Haus schon im Morgengrauen wieder verlassen. Zu lange war er fern seiner Pflichten gewesen, nun trieb es ihn früher hoch als jeden anderen auf der Burg – zumindest dachte er das. Mit ausladenden Schritten hielt Albert auf den Stall zu und betrat flink dessen Inneres, welches deutlich wärmer war als die stürmische Luft draußen. Sofort schlug ihm der vertraute Geruch von sauberem Stroh und dem gebürsteten Fell der Pferde entgegen. Niemals roch es hier anders – was allein den Händen des tüchtigen Jons zu verdanken war, der während Alberts Hamburg-Aufenthalts offensichtlich gute Arbeit geleistet hatte. Seinen ganz besonderen Fähigkeiten, vor allem aber seinem Gebettel, hatte der Page es zu verdanken, dass er nur noch selten die üblichen Arbeiten seiner Ausbildung und stattdessen fast ausschließlich die Arbeit mit den Pferden übernahm.
    »Seid gegrüßt, Truchsess«, rief der Junge beschwingt in Alberts Richtung.
    »Guten Morgen, Jons«, antwortete dieser und kam lächelnd auf den Jungen zu, der die Haare voller Stroh hatte.
    Als Jons Alberts Blick bemerkte, fuhr er sich geschwind über den Kopf. »Entschuldigt, ich habe gerade gemistet.«
    »Schon gut«, entgegnete Albert entspannt. »Ist hier alles in Ordnung?«
    »Ja, alles ist in bester Ordnung.«
    Albert wurde hellhörig. Bei Jons war es wichtig, ganz genau auf seine Worte zu hören. Jeder Unterschied im Klang oder in der Betonung, konnte etwas bedeuten. Für gewöhnlich wusste er Dinge über die Pferde, die niemand anderem auf der Burg bekannt waren. Er war gesegnet mit einer Gabe, wie sie Albert noch nie vorher begegnet war. Wäre Jons nicht ein so freundliches Kind, wäre der Junge ihm wohl oft schon unheimlich vorgekommen.
    Gemächlich begannen sie, die einzelnen Boxen der Pferde

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