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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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darauf verließ Godeke wortlos das Haus. Bis zum Rathaus waren seine Gedanken bei der letzten Nacht, dann aber, bevor er es betrat, versuchte er seinen Kopf davon zu befreien. Fast schon symbolisch schüttelte er seine Schultern, Arme und Hände aus, bevor er über die Schwelle trat.
    Godeke war wie immer zu früh im Rathaus und wie auch sonst genoss er den Moment vor der Sitzung. Gemächlichen Schrittes trat er an die hohen, bunten Fenster mit ihren schweren, grünen Vorhängen und lehnte sich an den Sims. Er stand erst kurze Zeit in Gedanken versunken da, als auch sein Freund Christian Godonis eintrat.
    Das Gesicht des sonst immer fröhlichen Mannes schien heute seltsam bestürzt. Keine Spur von seiner sonstigen Heiterkeit war im Antlitz des Dreißigjährigen auszumachen, selbst dann nicht, als er seinen Freund erblickte.
    »Was ist denn mit dir geschehen?«, fragte Godeke ehrlich erstaunt.
    Christian lehnte seinen Rücken an einen der Fensterrahmen und ließ seinen Hinterkopf dagegen fallen. Noch immer schwieg er.
    Godeke war verwundert. Plötzlich erinnerte er sich daran, was Christian letztens die Laune verdorben hatte und erschrak. »Gab es etwa wieder einen Schuljungenkampf?«
    Der mürrische Ratsmann schaute ihn mit einigem Unverständnis an und sagte: »Nein, mein fleißiger Freund. Ob du es dir vorstellen kannst oder nicht: Im Gegensatz zu dir dreht sich bei mir nicht alles um den Rat und dessen Probleme.«
    »Da erzählst du mir wahrlich nichts Neues. Ich weiß sehr wohl, wo deine eigentlichen Interessen liegen. Soll ich jetzt weiterraten oder erzählst du mir von selbst, was dir die Laune so gehörig verdorben hat?«
    »Ach, es war mein Vater!«, gestand Christian ohne Godeke anzusehen. »Seit einer Ewigkeit liegt er mir nun schon in den Ohren, dass ich wieder heiraten soll. Marthas Tod ist bald schon zwei Jahre her, und er will, dass ich endlich einen Sohn, einen Stammhalter, zeuge. Er hat mir mit allem Möglichen gedroht, wenn ich nicht endlich mein ausschweifendes Verhalten ändere und vernünftig werde. Und weißt du was? Er hat mich in der Hand …!«
    »Ja, das würde ich auch sagen«, bejahte Godeke, der genauso gut wie jedermann in Hamburg wusste, dass Christian Godonis gut und gerne aus dem Familienvermögen schöpfte. Die Erträge seiner eigenen Arbeit waren nicht hoch genug, um Haus, Huren, Seide und Wein in dem Maße zu bezahlen, wie er es gewohnt war. »Aber was ist so schlimm daran, wieder zu heiraten und einen Sohn zu zeugen?«
    Jetzt erst sah auch Christian seinen Freund direkt an. »Du fragst, was so schlimm daran ist? Nun, zum einen muss ich dir ja wohl nicht erklären, dass ich es vorziehe, mehrere Frauen um mich herum zu haben, anstatt nur eine, und zum anderen: Hast du dir mal die Jungfrauen angesehen, die zurzeit in Hamburg auf einen Verlobten warten? Eine hässlicher als die nächste! Da habe ich die Wahl zwischen klapperdürr wie die Oldardi-Tochter und kränklich, wie die von Radolf von Mersche. Von der bekomme ich sicher keinen Erben, so wie die immer hustet. Nein, mir gefällt mein Leben so, wie es ist. Ein Weib bringt nur Scherereien, das war mit Martha – Gott hab sie selig – genauso.«
    »Wem sagst du das?«, fragte Godeke verdrießlich und dachte wieder an den gestrigen Abend. »Doch du solltest dich glücklich und dankbar schätzen, dass dir die Möglichkeit wenigstens gegeben wird, irgendwann mit einer neuen Frau einen Sohn zu bekommen.«
    Christian verstand, was Godeke meinte. Doch Zurückhaltung war nicht seine Art. »Ist Oda etwa noch immer nicht schwanger?«, fragte er darum völlig unverblümt.
    »Nein, ist sie nicht. Ich sage dir eines: Frauen, die kein Kind empfangen, werden irgendwann absonderlich. Ich wünschte, Gott hätte endlich ein Nachsehen mit ihr und somit auch mit mir!«
    »So schlimm?«
    »Schlimmer!«
    »Tja«, ließ Christian nach einer Weile verlauten und hieb seinem Freund die Hand auf die Schulter. »So haben wir alle unsere Sorgen.«
    Inzwischen waren auch die anderen Ratsherren eingetroffen und hatten sich zu ihren Plätzen begeben. Godeke und Christian taten es ihnen gleich.
    Kurz darauf ging die Sitzung los.
    Johann Schinkel stand ohne jede Einführung von Willekin Aios auf und ergriff das Wort. »Meine Herren, heute ist ein schwarzer Tag für Hamburg. Graf Johann hat seinem Vetter die Fehde erklärt.« Während er sprach, hielt er ein gerolltes Schreiben in der Hand. Er gab es seinem Nebenmann, damit jeder es sich nacheinander ansehen konnte.

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