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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Herr.«
    Albert nickte dem Jungen zu, dessen Gesicht nun wieder strahlte. Darauf verließ er den Stall und wandte sich in Richtung der kleinen Gruppe von Fachwerkhäusern hinter dem ersten Wallring der Burg, von denen eines sein eigenes war. Während er darauf zuhielt, sah er schon ein Licht im Inneren brennen. Albert konnte es nicht erwarten, sich daran zu wärmen. Schon der kurze Weg vom Stall zum Haus durchnässte seine Lederstiefel erneut. Als er die Tür öffnete, zog ein heftiger Wind hindurch, der kurzzeitig die Flammen in der Feuerstelle unter heftigem Flackern verkleinerte.
    »Schließ schnell die Tür«, rief Ragnhild ihm entgegen.
    Albert drückte sie unter lautem Pfeifen hinter sich zu und stand sogleich im größten Wohnraum des Hauses, der mit einem Holztisch, einem einfachen Webstuhl und zwei Sesseln vor dem Feuer so gut wie ausgefüllt war. Die beiden Sessel waren neben einem Wandteppich und einer eisenbeschlagenen Truhe nahezu das Einzige, was sie aus ihrem Hamburger Kaufmannshaus mitgenommen hatte, nachdem sie es an Graf Gerhard II. verloren hatten. Auf genau jenen Sesseln, die schon Alberts Mutter von ihrer Mutter geerbt hatte, saßen Ragnhild und Alusch.
    »Ist bei den Pferden alles in Ordnung?«, fragte Ragnhild ohne aufzusehen.
    »Ja, und wenn Jons richtig liegt, wird es im nächsten Jahr einige Fohlen geben.«
    »In diesen Dingen liegt er doch immer richtig …«, warf Alusch gedankenversunken ein und widmete sich wieder ihrer derzeitigen Beschäftigung.
    In ihren Händen hielten die Frauen Stickarbeiten, und selbst Albert erkannte bei genauerem Hinsehen, dass es der Stoff des Hochzeitskleides seiner Tochter war, aus dem die Frauen nun wohl etwas für das Kind anfertigten. Dabei redeten sie über das scheinbar einzige Thema, welches es zwischen Frauen zu geben schien.
    »Sie hat so wunderschön darin ausgesehen, dass es mir jetzt noch die Tränen in die Augen treibt, Alusch. War es nicht wahrlich der schönste Tag, den du hier auf der Burg je erlebt hast?«, fragte Ragnhild und legte ihre Stickerei kurzzeitig in den Schoß. »Für mich war es einfach wundervoll.«
    »Oh ja«, antwortete die dickliche Alusch mit schwärmerischer Stimme. »Ich wage gar zu behaupten, dass es einer der wunderbarsten Tage in meinem Leben gewesen war … oder ist das blasphemisch? Schließlich bin ich getauft.«
    Albert stand noch immer mehr oder weniger unbeachtet auf derselben Stelle. Erst als er gegen den Rahmen klopfte, schauten die Frauen zu ihm auf. »Darf ich euch daran erinnern, dass diese Hochzeit schon viele, viele Wochen her ist? Wie lange gedenkt ihr noch darüber zu sprechen, als ob sie gestern gewesen wäre?«
    Ragnhild lachte hell. »Solange, wie wir Frauen dazu gezwungen sind, diese grauenhaften Stickarbeiten zu tun. Hochzeitserinnerungen sind dabei eine willkommene Abwechslung.«
    Albert verstand die Anspielung seiner Gemahlin sofort, wusste er doch, dass ihr das Anfertigen von Stickereien schon immer verhasst gewesen war. Nur weil sie seit einiger Zeit ein Knieleiden plagte, das sie daran hinderte, den ganzen Tag umherzulaufen, sah er sie häufiger mit einer Handarbeit.
    »Du verstehst das nicht«, schloss Alusch. »Es ist, als würde man den Tag wieder und wieder erleben. Und außerdem ist es gerade jetzt, wo die liebe Margareta schwanger in Hamburg weilt, das Einzige, was uns von ihr bleibt. Hoffentlich wird es ein Mädchen«, wünschte sich Alusch und hob den hübschen Stoff vor ihre Augen, so als könne sie das Kind bereits darin sehen.
    Alberts Gesicht bekam etwas Erschrockenes. »Herr im Himmel, hab Erbarmen. Lass es einen Jungen werden, der nicht fortwährend über Hochzeiten sprechen will.«
    In weiser Voraussicht, was nun folgen würde, duckte sich Albert und hob schützend und lachend seine Hände über den Kopf. Denn im gleichen Moment flogen zwei Stickereien mitsamt der Sticknadeln und bunten Fäden darin über Alberts Haupt hinweg. Prompt folgte ein Schwall tadelnder und trotzdem nicht ganz ernst gemeinter Worte, die kaum ein gutes Haar an seinem Verhalten ließen. Doch nur wenig später saßen sie alle drei versöhnlich am Tisch und aßen Brot und Käse.
    Albert hatte es nicht geschafft, das Thema Hochzeit zu beenden, und er gab auf es zu versuchen. Stattdessen flüchtete er sich in seine eigenen Gedanken, die nun aber unweigerlich auch um die Hochzeit kreisten. Die Frauen hatten ja recht, es war tatsächlich ein wundervolles Fest gewesen – wundervoll, aber für ihn auch schmerzlich.

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