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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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lachte gutmütig. »Was ist richtig, was falsch? Das bestimmt ihr Menschen selbst, und ihr macht es euch wirklich schwer. Ihr stellt viele Regeln und Gesetze für euer Zusammenleben auf, die manchmal sehr vernünftig, manchmal aber auch sehr dumm sind. Die Alten Geschöpfe waren viel freier als ihr, sie kannten weniger Gebote und Verbote als die Menschen, und doch haben sie lange vor euch diese Welt bevölkert und beherrscht. Aber jetzt neigt sich ihr Weg dem Ende entgegen.« Er seufzte wehmütig.
    Die Öllampen flackerten und erloschen. Wie um die Worte des Drachen zu unterstreichen, wurde es dunkler in der Höhle.
    »Die Zeit bleibt nicht stehen«, fuhr der Drache fort. »Große Veränderungen stehen bevor. Was gestern noch falsch war, wird morgen richtig sein und umgekehrt. Du und Djofar, mein Kind, ihr seid Teil dieser großen Umwälzungen. Aber ihr braucht euch nicht zu fürchten. So wie das Alte vergeht, entsteht Neues. Komm näher zu mir, mein Kind.«
    Gehorsam trat Ladya einen Schritt vor. Der Drache öffnete das Maul, und sein Atem, der die Erinnerungen eines unvorstellbar langen Lebens enthielt, umflutete sie wie zuvor Djofar.
    »Kehre nun zu deinem Liebsten zurück, mein Kind«, sagte er. »In drei Stunden wird meine Arbeit getan sein, und bei dem, was ich jetzt tue, dulde ich keine Zeugen.« Er strich ihr mit einer riesigen Pfote sanft über das Haar. Seine Lefzen verzogen sich zu einem schelmischen Lächeln. »Was auch immer geschieht, hört auf eure Herzen und folgt ihrem Rat. Lasst euch nicht von Äußerlichkeiten blenden. Nicht alles, was auf den ersten Blick erhaben erscheint, ist es auch.«
    Im Drachentempel von Mitheynanda herrschte angespannte Ruhe. Djofar stand mit Ladya Hand in Hand schweigend vor dem Altar, auf dem drei große Samtkissen für die Eier bereitlagen, und wartete auf den Ruf des Drachen. Worte waren überflüssig, jeder wusste, was der andere dachte. Sie hatten ein Geschenk erhalten, wie es nur wenigen Menschen vor ihnen zuteil geworden war, und den Segen des Obersten Drachen dazu.
    Die Welt schien den Atem anzuhalten. Über den nächtlichen Himmel zuckten mehr Sternschnuppen, als es zu dieser Jahreszeit üblich war, und alle kamen aus dem Sternbild des Großen Drachen, das über den schneebedeckten Gipfeln im Osten funkelte. Die Geräusche des sich dem Ende zuneigenden Frühlingsfestes, die durch die offenen Fenster drangen, wirkten merkwürdig gedämpft. In der alten Kastanie vor dem Tempel sang leise ein Nachtvogel. Der Schein der Öllampen tauchte den Altar in goldenes Licht und weichte alle harten Konturen auf. Im Wirtschaftsraum nebenan tuschelten die Mädchen, die für den Obersten Drachen getanzt hatten, aufgeregt mit Djofars Gehilfen.
    Als die Wasseruhr leise glucksend das Ende der dritten Stunde nach Ladyas Rückkehr verkündete, begann das magische Lichttor erneut zu flimmern, und in Djofars und Ladyas Köpfen klang die körperlose Stimme des Drachen auf.
    Mein Werk ist getan. Ihr könnt meine Eier holen. Hütet sie gut, meine Kinder, und seid gesegnet. Ein dröhnendes Lachen, gutmütig und belustigt, folgte den Worten. Große Umwälzungen stehen bevor, die die Welt erschüttern werden. Seid wie ein Fels in der Brandung. Eure Stärke liegt in eurer Einigkeit. Lasst euch nicht durch Dummheit, Maßlosigkeit und Missgunst entzweien. Und nun lebt wohl.
    Hand in Hand traten Djofar und Ladya durch den silbrig flirrenden Bogen.
    Der Drache war verschwunden. Noch immer sickerte schwaches Licht aus den Felswänden und entriss das schlichte Nest der Dunkelheit.
    Ein weißes, ein rotes und ein goldenes Ei lagen im Stroh, wie Gänseeier geformt, gut drei Handspannen lang und matt glänzend.
    Doch das war es nicht, was das junge Pärchen wie aus einem Mund ein ersticktes Keuchen ausstoßen ließ.
    Zwischen den drei Eiern lag ein viertes, genauso makellos und matt glänzend wie die anderen…
    … aber mindestens doppelt so groß und pechschwarz.
    König Gaurok war eine beeindruckende Erscheinung, einen guten Kopf größer als die meisten Männer seines kleinen Reiches, mit breiten Schultern, kräftigen Armen, stämmigen Beinen und durchdringenden blauen Augen in einem markanten Gesicht, das von einem blond gelockten dichten Bart verziert wurde.
    Er stand an der Spitze seines Gefolges vor dem Altar des Drachentempels und starrte die drei auf ihren Samtkissen ruhenden Dracheneier ehrfürchtig an. Hinter ihm drängten sich die Sprecher der Gilden und Zünfte Runnterums, denen Djofar

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