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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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es nicht, dass wir Drachen jedem Geschöpf bis auf den Grund der Seele schauen können?«
    »Dann wisst Ihr auch, dass ich nie mit ihr… seit ich zu Eurem Priester berufen wurde… auch wenn ich nie aufgehört habe, sie zu lieben… ich bin dem Eid immer treu geblieben…« Djofars Stimme wurde immer höher und schriller, bis sie schließlich mit einem Krächzen brach.
    »Mein armer Junge«, sagte der Drache väterlich. »Fass dich. Natürlich weiß ich das. Und jetzt bleib ganz ruhig stehen, damit wir nicht noch mehr Zeit mit unnötigem Gerede verschwenden.«
    Er streckte den Hals, bis seine Lefzen den jungen Mann beinahe berührten, öffnete das gewaltige Maul und hauchte ihn an.
    Ein warmer Luftzug ließ Djofars Haar flattern, und er wurde von einem Orkan unterschiedlicher Gerüche überflutet, die der Atem des Lebens selbst waren, kaum wahrnehmbar und auf geheimnsvolle Weise intensiv zugleich. Er roch frisch gepflügte feuchte Erde, harzige Bäume und gemähtes Gras, uralte staubige Felsen, klares Quellwasser und das ewige Eis der Gletscher, den süßen Duft von Blumen und der warmen Haut eines geliebten Menschen, Obst und Gemüse, rohes, gebratenes und geräuchertes Fleisch, Wein, Bier, Met und vergorene Milch, Fisch und Käse, Blut, Schweiß, Urin und Kot, Teer, Leim und Öl, Feuer, Rauch und Asche, Liebe und Hass, Verzweiflung und Hoffnung, Freude und Trauer, Dinge, die er nicht einmal benennen konnte…
    Die Zeit schien stillzustehen. Vor seinem inneren Auge stiegen Bilder auf, die einem anderen Leben entstammten. Er sah blutrote Sonnenaufgänge über der Wüste und blau schimmernden Gletschern, Feuer speiende Berge, Gischt sprühende Wogen, die sich auf einsamen Stränden brachen, Urwälder und endlose Sümpfe, fremdartige Tiere und Menschen, gewaltige Schlachten und Feuersbrünste, aufblühende und untergehende Königreiche… Er hörte, fühlte und schmeckte Dinge, die Generationen von Menschen, Alten Geschöpfen und Tieren gehört, gefühlt und geschmeckt hatten. Für einen winzigen Moment – oder für eine unfassbare Ewigkeit – wurde er ein Teil von allem, und er begriff, dass der Drache ihm ein Geschenk hatte zuteil werden lassen, wie es nur wenigen Menschen vor ihm vergönnt gewesen war.
    Der Atem des Drachen erlosch.
    Djofar blinzelte. Langsam nahm die Welt vor seinen Augen wieder Gestalt an. Einen Herzschlag lang schwelgte er in der Flut von Eindrücken, die die Erinnerung des Drachen waren, dann nickte er feierlich und flüsterte: »Ich habe verstanden, Herr.« Die Magie begann, sich bereits wieder zu verflüchtigen, aber ein Abglanz davon würde für immer in ihm bleiben.
    »Und wenn du schon einmal unterwegs bist«, hörte er die sonore Stimme des Drachen, kurz bevor er in die Schwärze hinter dem silbernen Tor trat, »bring mir ein paar Laib Käse mit. Außerdem noch einen Schlauch Wein und ein Fass Met. Besonders mit Ziegenkäse harmoniert Met ganz vorzüglich, meinst du nicht auch?«
    Ladya tauchte ein Tuch in einen Krug mit kühlem Wasser, wrang es aus und wischte sich das erhitzte Gesicht ab. Sie hatte getanzt und sich im Kreis gedreht, bis ihr schwindlig geworden war. Und das Fest dauerte gerade erst drei Stunden. Die ledigen Burschen standen Schlange, um den nächsten Tanz mit ihr zu ergattern. Viele wollten einfach nur mit der wunderschönen schwarzhaarigen Frau tanzen, doch so mancher machte sich Hoffnung, ihr in dieser Nacht näher zu kommen.
    Sie bedauerte, dass Djofar immer noch nicht erschienen war. Hielten ihn vielleicht seine Pflichten im Drachentempel auf? Immerhin war heute der dritte Neumond des Jahres, und an diesem Abend…
    Nein, das war undenkbar. Der Oberste Drache würde Runnterum niemals zum Drachenpatronat machen. Armer Djofar. Welch ein Opfer musste er bringen, sein ganzes Leben auf ein Ereignis zu warten, das nie eintreten würde.
    Als ihr jemand leicht auf die Schulter tippte, drehte sie sich um, und da stand er.
    »Djofar!«, rief sie erfreut. »Also bist du doch noch gekommen…« Sie verstummte mitten im Satz.
    Der junge Mann trug ein weißes Gewand mit rot und golden bestickten Säumen, die formelle Kleidung der Drachenpriester. Doch nicht das war es, was ihr die Sprache verschlug, sondern der Ausdruck auf seinem Gesicht.
    Es glühte förmlich, und seine Augen leuchteten.
    »Soll das etwa heißen…?«, begann sie fassungslos und ließ den Rest der Frage offen.
    Er nickte und ergriff ihre Hände. »Ja«, erwiderte er leise. »Und der Drache bittet dich, zu ihm

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