Das Vermächtnis des Rings
ihm sagen?«
»Sobald Eure Eier in den Tempel gebracht worden sind und der König informiert worden ist«, erwiderte Ladya.
Der Drache nickte. »Bereust du, was du getan hast?«
»Nein.« Ladya hatte sich die Frage schon früher gestellt, aber noch nie mit irgendjemandem darüber gesprochen. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass sie eines Tages dem Obersten Drachen davon erzählen würde, erst recht nicht, dass sich ein so erhabenes Geschöpf für ein unbedeutendes Menschenkind wie sie interessieren könnte.
»Erzähl es mir, wenn du magst«, forderte der Drache sie auf, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Niemand ist unbedeutend auf dieser Welt.«
»Sein Name war Kadan«, begann Ladya, und sie war überrascht, wie sehr es sie erleichterte, sich die Geschichte endlich von der Seele reden zu können, obwohl sie sich nicht schuldig fühlte. »Wir haben uns auf dem letzten Frühlingsfest kennen gelernt, und es hat lange gedauert, aber im Spätsommer ist es dann passiert. Ich weiß nicht, ob wir uns wirklich geliebt haben, aber…«
Sie hob hilflos die Hände. »Ich hatte immer gedacht, Djofar und ich würden eines Tages heiraten. Wir waren noch so jung, als das Orakel ihn zu Eurem Priester bestimmt hat. Er hätte sich weigern oder auch später noch von seinem Amt zurücktreten können. Ich wusste, dass er nicht aufgehört hat, mich zu lieben, und ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, aber die Jahre sind ins Land gegangen, und ich habe mich damit abgefunden, dass wir nicht füreinander bestimmt waren.«
Der Drache wartete geduldig, als sie einen Moment lang zögerte und die Augen niederschlug. »Verzeiht mir die Frage, Herr, aber warum muss ein Drachenpriester ledig bleiben, obwohl viele andere Priester heiraten dürfen? Und warum darf er sich eine Frau nehmen, nachdem Ihr gekommen seid, obwohl er dann die Obhut über Eure Eier und später über Eure geschlüpften Kinder hat? Ich verstehe das nicht.«
»Ich auch nicht«, bekannte der Drache zu ihrer Überraschung freimütig. Er ergriff einen blanken Unterschenkelknochen des Lamms, stocherte damit zwischen seinen Zähnen herum und entfernte ein Stückchen Fleisch, das sich dort festgesetzt hatte. »Wahrscheinlich aus Gründen der Geheimhaltung. Um zu verhindern, dass Uneingeweihte zu früh von meinem Kommen erfahren und mich belästigen.« Seine mächtigen Schultern hoben und senkten sich, eine beinahe menschliche Geste. »Ich habe die Regeln nicht gemacht, aber es ist auch nicht meine Aufgabe, den Menschen ungebeten Ratschläge zu erteilen. Hätte Djofar oder ein anderer Priester mir diese Frage gestellt…« Wieder zuckte er die Achseln, drehte den Knochen zwischen den Fingern und warf ihn achtlos hinter sich. »Aber sprich weiter.«
»Auf dem letzten Frühlingsfest habe ich dann Kadan kennen gelernt«, fuhr Ladya fort. »Es war schön mit ihm. Vielleicht nicht die große Liebe, die ich mir erträumt hatte, aber unsere Gefühle sind stetig gewachsen und tiefer geworden. Wir hatten gerade beschlossen, unsere Verlobung bekannt zu geben, als er beim Brückenbau vor der Schlucht in den Silberfluss gestürzt und ertrunken ist…«
»Mein armes Kind«, murmelte der Drache. »So hast du zweimal deinen Liebsten verloren und bist doch nicht verbittert geworden. Aber nun wirst du dein Glück finden.«
»Falls Djofar mich noch will, wenn er erfährt, dass er nicht mein erster Mann ist«, sagte Ladya.
»Zweifelst du denn daran?«
Ladya dachte kurz nach, lauschte in sich hinein und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Ich bin mir keines Unrechts bewusst, und ich glaube, dass Djofar mich verstehen wird. Aber ich bin nur ein unwissendes Menschenkind. Ihr dagegen seid weise, Herr. Deshalb sagt mir, bitte, habe ich in den Augen der Götter etwas Falsches getan?«
Der Drache musterte sie ernst. »Du kennst die Antwort auf deine Frage, denn du hast sie selbst schon gegeben. Was ist richtig, was falsch? In vielen Ländern gilt es als richtig, dass ein Mädchen jungfräulich in die Ehe geht. In anderen nicht. Auf den Perleninseln zum Beispiel müssen junge Frauen einen Mondzyklus lang mit den Fruchtbarkeitspriestern schlafen, bevor sie heiraten dürfen. In der Froststeppe müssen die Männer, nicht aber die Frauen bis zur Hochzeit unberührt bleiben. Und in Gaulanoar, in den Dschungeln des Südens, muss eine Frau zuerst mit allen ledigen Männern ihres Dorfes und ein Mann mit allen ledigen Frauen geschlafen haben, bevor sie oder er seinen Ehepartner wählen darf.« Er
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