Das Vermächtnis des Rings
ein paar Prellungen, Abschürfungen und einem verstauchten Knöchel war er unverletzt geblieben. Er befreite sich aus dem Netz und humpelte, auf Djofars und Ladyas Schultern gestützt, den Rest der Böschung hinunter.
König Gaurok war zusammen mit seinem Gefolge und den ausgewählten Vertretern der Gilden und Zünfte ängstlich zurückgewichen. Die beiden Eihälften lagen am Fuß des Berghangs im Gras. In den Duft der Frühlingsblumen hatte sich ein unangenehmer Geruch gemischt.
Djofar stemmte die Arme in die Hüften und ließ den Blick über die entsetzten Gesichter vor ihm wandern.
»Was wollt Ihr jetzt tun?«, fragte er ruhig. Obwohl er nicht laut gesprochen hatte, zuckten die Versammelten wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Bigrael und Rimara breiteten nervös die Schwingen aus, als wollten sie davonfliegen, legten sie aber wieder an.
»Wagt Ihr es nicht einmal, Euch anzuschauen, was Ihr angerichtet habt?«
Betretenes Schweigen antwortete ihm.
»Hauptmann Lodast, Fontinaal, Ura!« Djofar streckte einen Arm aus und deutete der Reihe nach auf die drei. »Ihr habt Euch besonders durch Euren Ehrgeiz hervorgetan. Ihr wolltet das vierte Ei des Drachen unbedingt für Euch beanspruchen, weil Ihr geglaubt habt, ein Recht auf Euren eigenen Patron zu haben. Jetzt stellt Euch Eurer Verantwortung und kommt zu mir.«
Wie von einem fremden Willen gelenkt, näherten sich die Männer dem Drachenpriester mit steifen Schritten.
Djofar winkte ihnen zu, ihm zu folgen, und ging zu einer Hälfte des schwarzen Eis. Er bückte sich, hob einen trockenen Zweig auf und zeigte damit auf die schwarze Masse, die sich jetzt, nachdem ihre Hülle aufgeplatzt war, zu einem dicken Fladen verformt hatte. »Was seht Ihr?«
Lodast war der Erste, der die Sprache wieder fand. »Das vierte Ei des Drachen.« Seine Stimme krächzte. Er räusperte sich mühsam. »Eine Hälfte davon.«
»O ihr Götter!«, stöhnte Ura. »Knochen! Der Drache war schon gewachsen! Wehe uns! O Mächtiger Tona, hab Erbarmen!«
Fontinaal schluckte schwer und vollführte eine fahrige Schutzgeste. Sein Gesicht war kalkweiß.
»Und der Gestank gibt Euch nicht zu denken?«, fragte Djofar.
»Wie könnt Ihr… es wagen… zu behaupten, der Drache würde… stinken…?«, stammelte Ura. Auf seiner Stirn glänzte kalter Schweiß.
Djofar schüttelte den Kopf. Seine Mundwinkel zuckten. »Ihr weigert Euch immer noch, das Offensichtliche zu erkennen.« Er beugte sich vor, stocherte mit dem Zweig in der schwarzen Masse herum und förderte zwei hellgraue feste Gebilde zutage.
Der Hauptmann wich hastig einen Schritt zurück, als befürchtete er, die Götter könnten ob dieses Frevels Blitze vom Himmel schleudern.
»Glaubt Ihr wirklich, das wären Drachenknochen?«, erkundigte sich Djofar ungerührt. »Sieht das nicht eher wie das Schulterblatt einer Milchziege aus? Und das hier – glaubt Ihr, ein Drache hätte Gräten wie ein Fisch?«
»Niemand weiß, wie das Skelett eines ungeborenen Drachen aussieht«, flüsterte Fontinaal.
»Aber enthält es vielleicht auch Apfelgehäuse und Kirschkerne?« Djofar konnte das Grinsen nicht länger unterdrücken. Er hob den Zweig, an dem ein dunkler, mit Kirschkernen durchsetzter Klumpen klebte, hoch und hielt ihn dem kleinen Magier unter die Nase.
Fontinaal war so erschüttert, dass er keinen Ton hervorbrachte. Endlich dämmerte auch auf Uras und Lodasts Gesichtern die Erkenntnis.
Und plötzlich hatte die unnatürliche Stille ein Ende. Ein leichter Wind kam auf und ließ das Gras rascheln. Zwei Lerchen stiegen jubilierend in den Himmel. In den Büschen und Bäumen begannen die Vögel zu zwitschern. Bienen erschienen wie aus dem Nichts und summten geschäftig umher. Auf der Bergwiese blökten die Schafe und meckerten die Ziegen. Irgendwo krähte ein Hahn.
Djofar ließ den Zweig achtlos fallen, drehte sich zu der wie gelähmt wartenden Menge um und hob die Arme. »Es hat nie ein viertes Ei des Drachen gegeben!«, rief er laut. »In ihrem Verlangen, sich selbst zu erhöhen, wollten die Sprecher Eurer Zünfte und Gilden, die Vertreter der Gelehrten, Priester, Magier, Künstler und Soldaten, den Kot des Obersten Drachen in die Stadt bringen. Um sich vom Rest des Volkes zu unterscheiden und ihre bevorzugte Stellung zu demonstrieren, waren sie bereit, einem Haufen Fäkalien einen Tempel zu errichten!«
Die Angesprochenen senkten beschämt die Köpfe. Jenseits des Kordons der Palastwachen klang ein gedämpftes Raunen und Murmeln auf, aber
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