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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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Bergpass, mit Geröll und Felsen blockiert und sich dahinter verschanzt. Obwohl sie nicht ausgebildet und viel schlechter ausgerüstet waren als Finraels Truppen, hatten sie überraschend lange standgehalten. Mit dem Mut der Verzweiflung hatten sie gekämpft, denn mit Gnade konnten sie nicht rechnen. Letztlich war es der Hunger gewesen, der sie schwächte und ihren Widerstand brach. Nach einer Woche der Belagerung hatte Finrael an der Spitze seiner Streitmacht die Barrikaden überwunden. Vorher hatte es tagelang geregnet, und der Boden war vollgesogen. Wasser mischte sich mit dem Blut der Gefallenen. Finraels Schwert hielt blutige Ernte unter den Rebellen. Stumpfe Augen starrten ihm aus dem Schmutz entgegen: alte Männer, junge Männer, Frauen, Kinder. Köpfe ohne Rümpfe, abgetrennte Gliedmaßen. Unablässig grollte Donner und überdeckte die Schreie der Sterbenden und das Stöhnen der Verwundeten. Kälte kroch in Finraels Arme, und mit einem Mal waren seine Muskeln des Stechens und Hauens müde. Ein bleiernes Gewicht schien sich auf all seine Sinne zu legen, und fast war ihm sein Tun zuwider. Er zügelte sein Schlachtross und blickte sich um.
    Um ihn herum töteten seine Männer alles, was sich noch bewegte. Die letzten Bewohner des Dorfes, das zu einer Todesfalle geworden war, rannten in Panik durcheinander. Finrael sah einen alten Mann vor einer Hütte, den zwei Soldaten festhielten, während ein dritter ihm das Schwert in den Leib rammte. Eine Frau, die ihr kleines Kind zu schützen versuchte, wurde von einem Pferd niedergeritten. Reglos mit dem Bündel im Arm blieb sie auf dem Boden liegen. Wenn beide noch nicht tot waren, würden die Schlächter bald dafür sorgen.
    Finrael erkannte den wilden Triumph in den Gesichtern seiner Männer. Der Blutrausch hatte sie erfasst. Sie waren blind für alles andere. Mit einem Mal hasste Finrael sie dafür.
    Er wandte sich zu seinem Hornisten um, der wenige Schritte hinter ihm im Gefolge des Heerführers verharrte, und hob die Hand. Der Befehl, den er erteilte, erstaunte nicht nur Finrael selbst, sondern auch seine Soldaten.
    »Es reicht. Blas zum Sammeln!«
    Nur eine Handvoll Rebellen hatte überlebt. Verunsicherte Soldaten, die nie zuvor einem Befehl wie diesem hatten Folge leisten müssen, trieben das magere Häuflein auf dem kleinen Dorfplatz zusammen und legten alle in Ketten.
    Schweigend, hoch aufgerichtet, den Mühlstein am Hals vergessend – oder war der Ring leichter geworden? –, ritt Finrael die Reihen seiner Krieger ab. Seine Miene war finster, und jeder Zweifel, der sich in die Gedanken der Männer geschlichen haben mochte, verflüchtigte sich angesichts der Kälte in seinen Blicken. Nein, Finrael der Dunkle, Finrael, der niemals lächelte, Finrael der Grausame kannte kein Mitleid.
    »Legt sie in Ketten und bringt sie zur Feste. Wir brauchen neue Sklaven. Dieses Pack soll noch lange bereuen, dass es gewagt hat, mir zu trotzen. Heute Abend feiern wir unseren Sieg!«
    Seine Truppen antworteten mit lautem Jubel. Finrael wendete sein Ross und ließ zum Aufbruch blasen.
    Doch auf dem ganzen Weg nach Hause hatten Zweifel an ihm genagt. Er brauchte keine neuen Sklaven. Warum nur hatte er die Rebellen verschont? Eine Macht schien in ihm zu wirken, die er nicht greifen konnte, die nicht zu ihm gehörte und dennoch Teil seiner selbst war. Er hatte jeden Gedanken daran beiseite geschoben – es hatte damals wichtigere Dinge gegeben, die es zu regeln galt.
     
     
    »Du wolltest ausreiten, o Herr?«
    Finrael fuhr herum. Unbemerkt hatte sich Didro, sein Leibdiener, genähert.
    »Ja, lass mein Pferd satteln… Ich reite allein.«
    Falls der Diener darüber verwundert war, so wagte er nicht, sich davon etwas anmerken zu lassen. Er verneigte sich gehorsam und wich zur Stiege zurück. Erst dort wandte er sich um, kletterte von der Zinne und machte sich auf den Weg zu den Ställen, wo er den Befehl seines Herrn an die Stallburschen weitergeben würde.
    Ein Ausritt… Bilder seines letzten Jagdausflugs stiegen vor Finraels geistigem Auge hoch, während er den Umhang über die Schultern zog und sich für einen letzten Blick über das ausgezehrte Land umdrehte.
    Von Langeweile getrieben, hatte er einen Trupp zusammengestellt, um in den Wäldern von Koadeg einen Drachen jagen zu gehen. Es war die größte Herausforderung, der sich ein Krieger und Jäger stellen konnte, und Finrael hatte sie bisher noch stets genossen. Drachen waren seltene, furchtbare Geschöpfe, die fliegen

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