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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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Eis waren, sah man einmal davon ab, dass die Verlagerung des Gewichts in Noldars Rücken ihm den Abstieg zusätzlich erschwerte. Doch mit jeder Sprosse, die er hinabstieg, schob sich die Spitze etwas weiter durch das Netz und rutschte langsam, aber unerbittlich aus der schützenden Decke.
    Hinter Djofar und Ladya klang ein Murmeln auf.
    Die elastische Eierschale verformte sich unter dem Druck ihres eigenen Gewichtes, wurde von den geknüpften Hanfseilen zusammengedrückt und weitete sich danach wieder.
    Noldar verharrte einen Moment lang reglos auf der Strickleiter, verdrehte den Kopf und schielte über seine Schultern. Von seiner Position aus konnte er unmöglich erkennen, was mit dem Ei geschah, aber er spürte den unregelmäßigen Zug an den Lederschlaufen, sah die blassen Gesichter und weitaufgerissenen Augen der wartenden Menge und hörte das zunehmend lauter werdende Raunen. Mit zusammengebissenen Zähnen setzte er den Abstieg fort.
    Je schneller er sich bewegte, desto schneller quetschte sich auch das schwarze Ei durch die Netzmasche und nahm allmählich eine flaschenkürbisartige Form an.
    Hier und da ertönten die ersten unterdrückten Schreie, gepaart mit wilden Anfeuerungsrufen. Djofar registrierte unbewusst, dass Ladya seine Hand fester umklammerte. Seine anfängliche Belustigung wich einem heftigen Mitleid mit dem Schmied, der sich jetzt mit einer Verzweiflung die schwankende Strickleiter hinabhangelte, als klettere er um sein Leben.
    Und beinahe hätte er es tatsächlich noch geschafft. Er war keine zehn Schritte mehr vom Ende der Leiter entfernt, als das Ei zur Hälfte ins Freie ragte und endgültig wie ein zäher Teertropfen durch die nur kopfgroße Masche des Netzes glitt.
    Die Anfeuerungsrufe der Menge verstummten. Einen Herzschlag lang herrschte vollkommene Stille, dann erscholl ein gellender Schrei des Entsetzens aus Tausenden von Kehlen, der noch im fernsten Winkel Runnterums zu hören sein musste.
    Das Ei prallte am Fuß der Felsklippen auf den Steilhang, sprang wie ein gigantischer Gummiball gut drei Fuß weit in die Höhe und rollte, über Bodenunebenheiten hüpfend, die grasbewachsene Böschung hinab.
    Der vielstimmige Schrei der Menge verebbte. Erneut machte sich atemlose Stille breit. Noch schien das Ei auf wunderbare Weise unversehrt, es verformte sich bei jedem Aufprall, als wäre es eine reife Pflaume, und das dichte Gras der Bergwiese wirkte wie eine federnde Matte. Vielleicht, wenn die Götter gnädig waren…
    Eine Bodenmulde änderte die Richtung des Eis. Es wich von seinem Kurs ab, der es in ein dichtes Gebüsch geführt hätte, und hielt genau auf eine schmale Felsnase zu, die wie eine Messerklinge aus dem Gras aufragte. Ein dumpfes Raunen erhob sich wie Donnergrollen, steigerte sich zu einem heulenden Crescendo und entlud sich in einem ohrenbetäubenden Kreischen, das den ersten Schrei noch übertönte, als das Ei von dem scharfen Felsvorsprung in zwei Hälften zerteilt wurde, die nach beiden Seiten auseinander strebten und zwei perfekte Halbbögen beschrieben, bevor sie fast gleichzeitig dicht vor dem Gefolge des Königs zur Ruhe kamen.
    Das anschließende lastende Schweigen wurde nur von einem gepressten Wimmern unterbrochen. Djofar erwachte aus seiner Erstarrung, hob den Kopf und sah gerade noch, wie Noldar einfach die Sprossen der Strickleiter losließ und aus gut fünf Schritten Höhe in das Gras stürzte. Der Schmied rutschte und rollte fast auf dem gleichen Weg wie das Ei zuvor die Böschung hinab und verhedderte sich hoffnungslos in dem grobmaschigen Netz, das Gesicht in den Händen vergraben, ohne Anstalten zu machen, seinen Sturz abzubremsen.
    Ladya und Djofar wechselten einen kurzen Blick und eilten dann gemeinsam den Hang hinauf. Sie erreichten den verzweifelten Mann auf halbem Weg, hielten ihn fest und knieten neben ihm nieder.
    Zuerst wollte Noldar nicht auf sie hören, als sie tröstend und beruhigend auf ihn einsprachen. Er weinte wie ein kleines Kind, jammerte herzzerreißend und schüttelte immer wieder den Kopf, bis ihre Worte endlich zu ihm durchdrangen. Und selbst danach dauerte es noch eine Weile, bevor seine Tränen versiegten und er die beiden fassungslos anstarrte.
    »Ist es wirklich wahr?«, flüsterte er ungläubig. »Ich habe kein Drachenei zerstört? Ich bin nicht verflucht?« Und dann weinte er wieder, ein Riese von einem Mann, der nicht einmal Dämonen oder den Tod fürchtete, doch diesmal waren es Tränen der Erleichterung und des Glücks.
    Außer

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