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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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Moment. Dann nickte er, traurig und mit einer Spur von Resignation, nahm die Pfeife aus dem Mund und zog seinen Umhang enger um die Schultern.
    »Wie ihr wollt«, murmelte er. »Aber denkt über meine Worte nach. Es ist noch nicht zu spät.«
    Dann verschwand er.
    Er ging nicht etwa weg oder duckte sich hinter einen Baum oder eine andere Deckung.
    Er verschwand.
    Es ging so schnell, dass Raskell im ersten Moment gar nicht begriff, was geschehen war. Er starrte fassungslos auf die Stelle, an der Harbo gerade noch gestanden hatte, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber nur ein hilfloses Krächzen hervor.
    »Was…«, keuchte er. »Wie…«
    »Ich weiß nicht, wie er es gemacht hat«, kam Holm seiner Frage zuvor. »Ein billiger Taschenspielertrick, mehr nicht. Zerbrechen Sie sich lieber nicht den Kopf darüber. Der Kerl war ein Verrückter.«
    Raskell schüttelte mühsam den Kopf. Ein seltsames, beklemmendes Gefühl hatte sich seiner bemächtigt, ein Empfinden, das ihm vollkommen fremd war und das irgendwo zwischen nackter Angst und ungläubigem Staunen angesiedelt war. »Das war kein Trick«, sagte er tonlos. »Das…«
    »Hören Sie, Raskell«, fiel ihm Holm ins Wort. »Es war ein Trick, und noch nicht einmal ein sonderlich guter. Und wenn Sie jetzt anfangen, Gespenster zu sehen, dann hat er genau das erreicht, was er erreichen wollte. Ich habe einmal in einer Varietevorstellung gesehen, wie ein Mann eine junge Frau in drei Teile zersägte, ohne es mir erklären zu können. Aber deswegen habe ich noch lange nicht angefangen, an Zauberei zu glauben. Der Kerl hat nicht mehr alle Tassen im Schrank, wenn Sie meine Meinung wissen wollen.«
    Raskell drehte sich mühsam um und starrte Holm an. »Was… was wollte er überhaupt?«, fragte er stockend. »Und was meinte er damit, dass Sie ihn kennen?«
    Holm zuckte die Achseln, aber die Bewegung war ein wenig zu hastig, um noch überzeugend zu wirken. »Ich weiß es nicht, Raskell«, sagte er. »Ein Verrückter, der sich für den Beschützer der Wälder hält oder sonst etwas. Man trifft diese Typen manchmal hier oben in den Bergen. Machen Sie sich keine Sorgen. Er hat seine Show abgezogen und ist verschwunden. Er wird uns nicht wieder belästigen. Und nun kommen Sie. Ich möchte heute Abend noch den Fluss erreichen.«
    Raskell war noch lange nicht zufrieden, aber Holm schien nicht gewillt, die Unterhaltung fortzusetzen. Er drehte sich um und ging mit schnellen Schritten auf den Waldrand zu, ohne auf Raskell zu warten.
    Raskell blieb noch einen Moment stehen und starrte kopfschüttelnd auf die Stelle, an der Harbo verschwunden war. Das Feuer brannte mit einem Mal nicht mehr so hell wie zuvor. Die Flammen waren zusammengesunken und verbreiteten kaum noch Wärme, und der flackernde Kreis aus gelber Helligkeit schien unter dem Ansturm der Dunkelheit rasch zusammenzuschrumpfen. Schon nach wenigen Augenblicken war es zu einem schwach glimmenden Gluthäufchen zusammengesunken, dann zu Asche, in der schließlich auch der letzte Lichtpunkt erlosch. Es wurde kälter, und Raskell schauderte.
    Es war nicht so sehr das Absinken der äußeren Temperaturen, sondern fast – und so absurd der Gedanke klang, erschien er ihm doch in diesem Augenblick als die einzig logische Erklärung –, als wäre mit Harbo auch noch etwas anderes gegangen, etwas Unsichtbares und Körperloses und doch ungemein Wichtiges, der winzige Unterschied zwischen diesem und einem normalen Wald.
    Der Zauber war verflogen, vielleicht für immer, und als Raskell sich umdrehte und langsam hinter Holm herging, sah er nur noch einen normalen, finsteren Wald, borkige Bäume auf moos- und grasbewachsenem Boden, schön, aber nicht mehr von der fremdartigen Faszination wie zuvor. In diesem Wald würde Harbo keine Fee fangen können.
    Raskell schüttelte den Gedanken unwillig ab und schritt kräftiger aus, um Holm, der mittlerweile schon weit voraus war, einzuholen.
    So etwas wie Zorn, vielleicht aber auch nur Unsicherheit, die er fälschlicherweise für Zorn hielt, stieg in ihm empor; Zorn auf diesen verrückten Gnom, der in albernen Kinderkleidern durch den Wald irrte und dummes Zeug daherredete, aber auch Zorn auf sich selbst, dass er darauf hereingefallen war, wenn auch nur für einen Moment. Herrgott, er war kein Kind mehr und auch keiner von diesen romantischen Spinnern, die Geschichten wie diese lasen und sich daran erfreuten, sondern ein erwachsener, intelligenter Mann mit einem logisch funktionierenden

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