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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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Gesicht erschien für Sekunden ein leiser Anflug von Unmut.
    »Nichts«, antwortete er in einem Tonfall, der mehr als alle Worte sagte, dass er nicht mehr über dieses Thema reden wollte. »Jedenfalls nichts, was Sie interessieren wird. Er ist ein Verrückter. Aber harmlos. Und nun sollten wir schlafen. Wir müssen bei Sonnenaufgang los.«
    »Über den Fluss?«
    »Über den Fluss.« Er stand auf, zog Jacke und Stiefel aus und kroch in sein Zelt. Augenblicke später verkündeten seine leisen, regelmäßigen Atemzüge, dass er eingeschlafen war. Oder wenigstens so tat, um nicht weiter mit Raskell reden zu müssen.
    Raskell blieb noch eine Weile am Flussufer hocken, ehe er sich ebenfalls auszog und in sein Zelt kroch. Aber er fand keinen Schlaf. Obwohl er müde und erschöpft wie selten zuvor in seinem Leben war, wälzte er sich ruhelos von einer Seite auf die andere, ohne einschlafen zu können. Schließlich, nach einer Ewigkeit, wie es ihm vorkam, gab er auf und kroch wieder ins Freie.
    Es war kühl geworden, kühl und feucht, sodass er seine Jacke wieder anzog und sich eine zusätzliche Decke aus dem Zelt holte, ehe er zum Flussufer hinunterging. Mit einem Mal sehnte er sich nach einer Zigarette, das erste Mal, seit er das Rauchen vor zwei Jahren aufgegeben hatte. Er dachte sehnsüchtig an Holms Packung, die immer noch neben dem Feuer lag, beherrschte sich aber. Dieser Wald war zu rein und zu sauber, um ihn mit Zigarettenqualm zu verpesten.
    Er zog die Decke um seine Schultern, umschlang die Knie mit den Armen und lauschte auf die winzigen Geräusche der Nacht; das Plätschern des Wassers zu seinen Füßen, das leise Rauschen des Windes in den Baumkronen, die leisen, einzeln nicht unterscheidbaren Laute des Waldes.
    Nicht einmal vierundzwanzig Stunden war es her, dass er in seine Maschine gestiegen und dem Stress und dem Lärm der Großstadt entflohen war, aber es kam ihm vor, als wäre mehr Zeit verstrichen. Er war nicht nur in einen anderen Teil des Landes gegangen, sondern in eine andere Welt. Nicht Zeit und Raum, sondern Dimensionen trennten ihn von der Realität. Wie hatte Harbo gesagt? Länder wie dieses gibt es überall. Aber die Menschen haben den Weg vergessen. Er hatte Recht gehabt, nur hatte Raskell da nicht verstanden, was er gemeint hatte. Es hatte diese Welten immer gegeben, und es gab sie noch heute: Narnia, Mittelerde, Oz, Phantasien… Aber die Tür dorthin lag tief in jedem selbst, verborgen hinter dicken Mauern aus Ignoranz, Stolz und falschem Realismus, verriegelt mit einem Begriff, der sich Erwachsensein nannte und vielleicht von allen Dummheiten, die die Menschheit jemals erfunden hatte, die größte war. Aber er hatte die Tür aufgestoßen, einen winzigen Spaltbreit nur, aber weit genug, um einen Blick auf das, was dahinter lag, werfen zu können.
    Er musste daran denken, wie sehr sich sein Freund Jack nach dem Jagdausflug verändert hatte. Sie hatten wenig darüber geredet, eigentlich viel zu wenig, um ihn bewegen zu können, zehntausend Dollar und – was kostbarer war – zwei Wochen Zeit zu opfern. Aber es waren auch nicht Jacks Worte gewesen, die ihn schließlich zum Herkommen bewogen hatten. Nein, es war Jack selbst. Er hatte sich verändert, nicht im Aussehen noch in seinem Verhalten. Auch nicht in dem, was er sagte, oder wie er es sagte. Die Veränderung hatte auf einer anderen, nur gefühlsmäßig zu erfassenden Ebene stattgefunden. Und Raskell hatte etwas von dem Zauber gespürt. Jack hatte die Tür geöffnet, und vielleicht hatte er sogar ein paar Schritte in das Land dahinter getan.
    Eine Bewegung am gegenüberliegenden Flussufer schreckte ihn aus seinen Gedanken hoch. Er blinzelte, presste die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und duckte sich unwillkürlich, um nicht seinerseits gesehen zu werden.
    Vor dem dunklen Hintergrund des Waldes waren Männer erschienen; erst zwei, dann ein dritter, schließlich ein vierter und fünfter. Sie waren ausnahmslos sehr groß und schlank, soweit Raskell dies über die große Entfernung und beim schwachen Licht des Mondes erkennen konnte, und sie saßen auf weißen, wunderschönen Pferden, deren Zaumzeug von Zeit zu Zeit aufblitzte, als wäre es aus Gold oder Silber. Die Männer trugen knielange Röcke und metallene Arm- und Beinschienen, Brustpanzer aus einem silbern schimmernden Material und weiße, lose fallende Umhänge, die bis weit über die Rücken ihrer Tiere herabhingen.
    Raskell blinzelte verwirrt, aber das Bild verschwand nicht. Im

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