Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
Vom Netzwerk:
Raskell fror jetzt nicht mehr, aber dafür fiel ihm etwas anderes auf: Ihre Umgebung begann sich zu verändern; nicht sichtbar, aber spürbar. So, wie er sich gestern in einem verwunschenen Zauberwald gewähnt hatte, ohne dass es einen äußerlichen Unterschied zu irgendeinem anderen Stück unberührter Natur gegeben hätte, schien nun der gleiche Effekt im umgekehrten Sinne aufzutreten.
    Nichts war anders als am Tage zuvor, und doch begann Raskell sich mit jedem Schritt unwohler zu fühlen. Es war, als wären die schweigenden Schatten zwischen den Bäumen rings um sie herum plötzlich mit unsichtbarem, wisperndem Leben erfüllt, als mische sich in das leise Murmeln des Flusses ein Chor geisterhafter, drohender Stimmen. Raskell hatte plötzlich das Gefühl, beobachtet, mehr noch, belauert zu werden, und er spürte, dass es Holm nicht besser erging. Auch er wirkte zunehmend nervöser, und die raschen, aufmerksamen Blicke, die er von Zeit zu Zeit nach rechts und links warf, waren kaum mehr die eines Jägers, sondern eher die eines Gejagten.
    Es war beinahe Mittag, als sie endlich vom Fluss weg und tiefer in den Wald hineingingen. Es war düster und schattig hier unten, und ihre Schritte erzeugten seltsam hallende Echos. Farn und ein Gespinst aus grauen, spinnwebähnlichen Fäden wuchsen zwischen den Bäumen, und Holm machte nun häufiger Gebrauch von seinem Buschmesser, um eine Gasse für sich und Raskell zu schlagen.
    Einmal sahen sie einen Hirsch, ein großes, stolzes Tier mit klugen Augen und einem prächtigen Geweih, aber Holm hielt Raskell zurück, als er nach seinem Gewehr greifen wollte.
    »Noch nicht«, sagte er. »Hirsche können Sie überall schießen.«
    Raskell ließ die Hand mit leiser Verärgerung sinken. Sicher – Holm würde wissen, was er tat, aber sie waren jetzt schon fast anderthalb Tage unterwegs, ohne auch nur das kleinste Wild zu Gesicht bekommen zu haben. Und so juckte es Raskell allmählich in den Fingern.
    Sie gingen weiter und erreichten schließlich eine weite, grasbewachsene Lichtung. Holm deutete stumm auf den winzigen, still daliegenden See in ihrer Mitte und hockte sich hinter einen Busch. Raskell folgte seinem Beispiel.
    »Jetzt müssen wir warten«, flüsterte Holm.
    »Und wie lange?«
    Holm lächelte. »Vielleicht eine Stunde, vielleicht einen Tag, vielleicht auch länger. Vielleicht kommt es auch gar nicht. Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie sehr viel Geduld haben müssen.«
    Raskell schwieg einen Moment. Dann nahm er das Gewehr von der Schulter und begann es langsam und gründlich zu überprüfen. Nicht, dass es nötig gewesen wäre – die Waffe war in Topzustand, wie es einer Zweitausenddollarbüchse zukam, aber er musste einfach seine Hände beschäftigen.
    »Ich muss immer noch an gestern denken«, sagte er nach einer Weile.
    Holm schürzte die Lippen. »Harbo?«
    Raskell nickte. »Auch. Aber es war nicht nur das. Sie… Sie haben mir nicht die Wahrheit gesagt, nicht wahr?«
    Holm lächelte dünn. »Ich habe eigentlich gar nichts gesagt. Ich habe Ihnen ein besonderes Wild versprochen, und das werden Sie bekommen.«
    Es kostete Raskell enorme Überwindung, ruhig zu bleiben. »Ein… ein Einhorn?«, fragte er. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre er sich unbeschreiblich albern und lächerlich vorgekommen, die Frage zu stellen. Diesmal nicht.
    Holm starrte eine Weile wortlos auf die Lichtung hinaus. Dann nickte er.
    »Ja.«
    Raskell war nicht einmal überrascht. Im Gegenteil. Er wäre überrascht gewesen, wenn Holm irgendetwas anderes gesagt hätte.
    »Dann war dieser Harbo also kein Verrückter, wie Sie mir einreden wollten«, sagte er ruhig.
    Holm wandte verärgert den Blick. »Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen ihn vergessen, Raskell«, sagte er unwillig. »Er wird uns nicht mehr belästigen. Und wenn doch…« Er brach ab, runzelte die Stirn und fuhr dann mit einer hastigen Bewegung herum. »Still jetzt«, zischte er. »Es kommt etwas.«
    Raskell hob automatisch sein Gewehr und starrte ebenfalls auf die Lichtung hinaus. Er hatte nichts gehört, aber Holm hatte schon mehrmals bewiesen, dass er über die schärferen Sinne verfügte. Zwei, drei Minuten vergingen, ohne dass sich einer von ihnen rührte. Schließlich deutete Holm schweigend auf eine Stelle am gegenüberliegenden Waldrand.
    Raskell unterdrückte im letzten Moment einen erstaunten Ausruf, als er das Tier sah.
    Es war groß; größer als jedes Pferd, das er zu Gesicht bekommen hatte, und wunderbar proportioniert. Sein Fell

Weitere Kostenlose Bücher