Das Vermächtnis des Rings
diesem Punkt hast du dich geirrt. Es gibt Abenteuer, und du bist eine Heldin, ob dir das nun gefällt oder nicht.«
Bevor Melanda etwas darauf erwidern konnte, erschienen die vier kleinen Fremden in Begleitung des dicken Wirts und eines Waldmanns aus Richtung des Gasthofes. Sie hielten schnurstracks auf Lutz’ Koppel zu.
Der Wirt war noch immer sichtlich erregt. Der Verlust der Pferde und Ponys in seinem Stall hatte ihn sehr mitgenommen. Ständig schüttelte er den Kopf und wedelte wild mit den Armen, während er mit seinen Gefährten sprach.
Der blöde Kerl glaubt vermutlich, sie sind gestohlen worden, dachte Melanda. Wenn er wüsste, was vergangene Nacht wirklich geschehen ist, würde er sich wahrscheinlich schlotternd unter die Bettdecke verkriechen.
Als die sechs Lutz’ Koppel erreichten, sprang Melanda auf die oberste Zaunlatte. Einer der Fremden – der kleine Kerl, der Lutz bei der Ankunft zugelächelt hatte –, streichelte Melanda und winkte Lutz dann zu sich heran.
Lutz warf sich in Positur und trabte stolz herbei. Der kleine Kerl streichelte ihm den Hals und redete dann auf seine Gefährten ein. Der Waldmann lächelte; doch der dicke Wirt rollte mit den Augen, zuckte mit den Schultern und schlurfte schließlich zum Haus neben der Koppel, in dem Lutz’ griesgrämiger Herr wohnte.
Verwirrt blickte Lutz zu Melanda. Diese mauzte jedoch nur leise zum Zeichen, dass auch sie keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging.
Der Wirt hämmerte gegen die Tür, und wenige Augenblicke später erschien Lutz’ ungeliebter Herr.
Münzen wechselten den Besitzer, offensichtlich mehr, als dem Gastwirt lieb waren; dann verschwand der Griesgram wieder im Haus und schlug die Tür hinter sich zu.
Der kleine, freundliche Fremde öffnete daraufhin das Tor von Lutz’ Koppel, legte dem Pony ein Halfter an, strich ihm über die Nüstern und redete beruhigend auf es ein.
Lutz war noch immer verwirrt. Unsicher drehte er sich zu Melanda um.
»Abenteuer«, seufzte diese. Jetzt war ihr klar, was hier passierte. »Du wirst auf Abenteuer gehen.«
Lutz wusste nicht, was er sagen sollte. »Aber…«, keuchte er schließlich.
»Kein Aber«, unterbrach ihn Melanda. »Du wirst jetzt eine jener Geschichten erleben, denen du immer so gerne gelauscht hast.«
Als der kleine Mensch mit den pelzigen Füßen Lutz von der Koppel führte, begannen die Augen des Ponys zu leuchten. »Abenteuer«, flüsterte er. »Abenteuer.«
Dann riss er plötzlich den Kopf herum und blickte Melanda angsterfüllt an. »Werde ich dich Wiedersehen?«
Melandas Auge glitzerte, als kämpfe sie gegen die Tränen an. Dann zuckte sie mit den Schnurrhaaren und lächelte ihren Freund an.
»Ja«, antwortete sie voller Zuversicht. »Und wenn du wiederkommst, wirst du reden, und ich werde zuhören.«
H ELMUT W. P ESCH
D AS L IED DER W ELLE
Und die Eldar sagen, mehr als in jedem anderen Stoff auf dieser Erde sei im Wasser das Echo von der Musik der Ainur lebendig; und viele der Kinder Illuvatars lauschen noch immer unersättlich den Stimmen des Meeres und wissen doch nicht, auf was sie lauschen.
DAS SILMARILLION
Was ich von allen Dingen am meisten vermisse, ist meine Harfe. Ah, sie machen keine Harfen mehr wie in den alten Zeiten! Das Holz ist zu weich; ihm fehlt die Spannkraft. Die Saiten klingen stumpf, als sei der Rost im Metall, der Wurm im Gedärm. Und es will mir nicht gelingen, mit jener winzigen Bewegung des Schlüssels, jener kaum wahrnehmbaren Drehung des Stranges jene Musik aus ihnen hervorzulocken, der ich meinen Ruhm verdanke. Und mein Verderben.
Doch ich will alles von Anfang berichten, wie es geschah. Ich erwachte aus langen, wirren Träumen und wusste nicht, woher ich kam, wer ich war und wohin ich mich wenden sollte. Es war dunkel, und ich war allein. Ringsum Schweigen. Nur eine Ahnung des Windes, der um hohe Berggipfel wehte. Und eine Kälte, die Mark und Bein gefrieren ließ, ein Eisesfrost, der nicht aus den Begriffen der Mittelerde, sondern nur aus der absoluten Leere und Finsternis zu erahnen war, die hinter den Sternen lauert.
Lange Zeit lag ich dort, rührte weder Hand noch Fuß, bis ich die Kälte spürte, die von dem Stein, auf dem ich lag, in meinen Körper sickerte. Da war mir bewusst, dass ich die Augen geöffnet hielt und nicht mehr schlief. Und ich erkannte, wo ich war: in einem umschlossenen Raum, gegen eine Decke aus gewachsenem Fels starrend, in einem bläulichen Licht, das wie durch Eis gefiltert
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