Das Vermächtnis des Rings
fragte Thyko ungläubig.
»Ja. Sie haben uns daran erinnert, dass wir vorsichtiger sein sollten. Ich rechne zwar nicht damit, fortan ständig Strauchdieben und Trollen zu begegnen, aber wir sollten uns wenigstens einigen, wie wir demnächst auf solche Zwischenfälle reagieren. Wir können es uns nicht leisten, jedes Mal völlig überrascht dazustehen.«
»Das wird wohl nicht nötig sein. In drei Stunden haben wir diesen Wald längst verlassen. Und dann durchqueren wir nur noch Gebiet, in dem wir jeden Angreifer auf hundert Schritte sehen können. Ich halte es jetzt für das Beste, wenn wir uns still verhalten. Wer weiß, was sonst noch hinter all diesen Bäumen auf uns lauert.«
Thyko führte Kel durch den Wald. Oft kreuzten andere Pfade ihren Weg, und stets bog Thyko zielstrebig nach rechts oder links ab. Bald schon hatte Kel jegliche Orientierung verloren. Doch ohne Einspruch zu erheben oder Fragen zu stellen, ritt er seinem Gefährten hinterher. Und so manches Mal stahl sich ihm ein Lächeln aufs Gesicht.
Nach dem Vorfall im Wald verlief der Reisetag ohne Zwischenfälle. Thyko schwieg die meiste Zeit, was Kel sehr gelegen kam, denn er wollte in Ruhe nachdenken; eines war ihm nun klar: Er hatte von Anfang an Recht gehabt. Ihm blieb nun nicht mehr viel Zeit, sich Thyko zu stellen. Doch welcher Zeitpunkt wäre der beste…?
Am Abend gelangten sie an einen kleinen See. Und als sie die Tiere versorgt und sich ans Ufer gesetzt hatten, um eine Mahlzeit einzunehmen, beschloss Kel, die Konfrontation mit Thyko nicht länger hinauszuzögern.
»Wie lange noch bis zum Breiten Pass?«, fragte er, als er den letzten Bissen seiner Ration hinuntergeschluckt hatte.
»Kel, allmählich geht mir deine Ungeduld auf den Geist. Du weißt genau, dass wir noch etwa anderthalb Tage benötigen werden.«
»Vielleicht bis zu dem Ziel, das du erreichen willst«, sagte Kel und blickte Thyko in die Augen. »Ich will aber wissen, wie lange wir von hier zum Breiten Pass reisen würden. Doch du brauchst mir nicht zu antworten. Ich bin recht sicher, dass es inzwischen wieder gut zwei Tage dauern würde. Lass uns unsere Reise einfach abbrechen und zurückkehren.«
Thyko setzte den Wasserschlauch ab und sah seinen Freund einen langen Moment an. »Ich hab ja gewusst, dass in deinem Kopf etwas nicht stimmt«, sagte er finster. »Du bekommst schon Wahnvorstellungen.«
»Wahnvorstellungen?« Kel erhob sich, ging zu seiner Satteltasche und holte eine Pergamentrolle hervor, auf der ein rotes Wachssiegel leuchtete. Dann schritt er wieder zum Ufer. »Schau her, welche Wahnvorstellungen mich plagen!« Er schleuderte die dünne Rolle mit aller Kraft von sich. Fünf Meter vom Ufer entfernt fiel sie aufs Wasser und tänzelte sanft auf der Oberfläche.
Thyko hatte große Augen bekommen und war entsetzt aufgesprungen. »Du bist wahnsinnig! Die Botschaft des Königs! Wie kannst du nur…«
Er unterbrach sich mitten im Satz und lief ins Wasser. Das Ufer des Sees fiel steil ab, und er musste das letzte kurze Stück zur Rolle schwimmen. Als er wieder am Ufer stand, blickte er fassungslos auf das durchweichte Pergament in seinen Händen.
»Sieh dir mal das Siegel an«, forderte Kel seinen tropfnassen Weggefährten auf.
»Was soll damit sein?«, bellte Thyko.
»Es ist nicht das Siegel des Königs«, erklärte Kel. »Man hat einfach eine Münze in das heiße Wachs gedrückt. Eine schlechte Fälschung, was? Zum Glück wäre sie gut genug gewesen, dich zu täuschen, hättest du unterwegs einen Blick auf die Rolle werfen wollen.«
»Wo ist die echte Botschaft?«, schrie Thyko und machte einen Schritt auf Kel zu.
»Ich habe sie nicht mehr.«
»Du hast sie nicht mehr?« Thyko warf die Pergamentrolle zu Boden und zog sein Messer. »Du Hund, ich werde dir die Gurgel aufschlitzen!«
Kel ließ sich seelenruhig am Ufer nieder und bedeutete Thyko mit einer Handbewegung, sich ebenfalls hinzusetzen. »Setz dich. Wenn du mich umbringen willst, kannst du das jederzeit tun. Du bist stärker als ich. Zuerst will ich mit dir reden.«
»Was? Wenn ich dich töten will, lasse ich mich nicht durch dein Geschwätz davon abbringen. Ich werde…«
»Es ist noch nicht zu spät für dich«, fiel Kel seinem Weggefährten ins Wort. »Du kannst deinen Plan noch immer in die Tat umsetzen.«
»Wie soll ich das jetzt noch können? Wo zum Teufel ist die echte Botschaft?« Kel forderte ihn erneut mit einer Geste auf, sich hinzusetzen, und Thyko biss die Zähne zusammen, steckte
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