Das Vermächtnis des Rings
sammelte Thyko seine Sachen ein und sattelte sein Reittier. Kurz darauf galoppierte er an Kel vorbei. Wilder Eifer stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Danke für die Information, Kel! Die Thornali und ich werden dich nicht vergessen!«
»Viel Erfolg!«, flüsterte Kel ihm spöttisch hinterher. Erleichtert ließ er den Dolch fallen. Die kleine Waffe war die einzige Lebensversicherung gewesen, die Guneb ihm mit auf den Weg gegeben hatte: Die Klinge war mit einem Gift bestrichen, das Thyko beim kleinsten Schnitt binnen Sekunden gelähmt hätte.
Als Thyko außer Sichtweite war, erhob sich Kel und ging zu seinem Reittier.
»Na so was«, sagte er zu der Echse und streichelte ihr den langen Hals. »Ich hätte nie gedacht, dass ich so gut lügen kann.«
Die Echse schnaubte und stieß dann einen kehligen Laut aus.
»Weißt du«, sagte Kel und klopfte dem Tier auf den Rücken, »wenn das eigene Leben von einer Lüge abhängt, entwickelt man eine große Überzeugungskraft.«
Kel wandte sich um und blickte zufrieden auf den friedlichen See. Er wusste, Thyko konnte Marti nicht abfangen. Und auch nicht einholen…
… denn der Sohn des Kesselflickers war ihnen bereits nach drei Stunden gefolgt.
Nicht allzu lange Zeit später, weit, weit vom Dorf entfernt, brach der Feldherr Gendelor das königliche Siegel. Ein völlig erschöpfter Junge hatte die Pergamentrolle ins Feldlager gebracht. Er war offenbar drei Tage ohne Rast oder Schlaf geritten.
Gendelor las die Botschaft. Dann trat er vor sein Zelt und erteilte eilig Befehle.
Kaum eine Stunde später brach sein Heer gen Süden auf.
F RANK R EHFELD
D IE I NSEL DER E LBEN
Mehr als eine Woche lang hatte es ohne Unterlass geregnet. Die Welt war hinter einem tristen Schleier versunken, der sämtliche Farben ausgelöscht und die Landschaft in eine trostlose Ödnis aus verschiedenen Grautönen verwandelt hatte; eine Welt, die nur aus Nässe, Kälte, Schweigen und Einsamkeit bestand.
Aylon konnte sich kaum noch erinnern, wie es war, nicht bis auf die Haut durchnässt zu sein und zu frieren. Eingehüllt in einen dicken Mantel, hatte er sich tagsüber mühsam vorwärts gequält, tief im Sattel seines Pferdes zusammengesunken, und sich nachts aus Zweigen und Blättern einen behelfsmäßigen Unterschlupf gebaut, um sich auf einem feuchten Lager zur Ruhe zu betten.
So war Tag um Tag in gleicher Monotonie verstrichen, doch alles änderte sich, als er am späten Vormittag den Fluss überquerte. Kaum hatte er das diesseitige Ufer erreicht, als die Wolkendecke aufriss und ein Stück blauen Himmels enthüllte. Wenig später hörte der Regen auf, und die Frühlingssonne brach durch die Wolken.
Am Rande eines sanft abfallenden Buchenhains entschloss sich Aylon zu einer Rast. Gut eine Stunde saß er dort am Fuß eines Baumes, ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und seine durchnässte Kleidung trocknen und genoss die Wärme, die allmählich die Taubheit aus seinen Gliedern vertrieb. Lautes Vogelgezwitscher ertönte aus den Ästen über ihm, ein Geräusch, das er in den vergangenen Tagen vermisst hatte. Selbst die Tiere schienen sich vor dem Regen verkrochen zu haben und erst jetzt wieder hervorzukommen, um den Sonnenschein zu begrüßen.
Aylon wusste nicht einmal, wie das Land hieß, in dem er sich befand, aber es gefiel ihm, und das nicht nur wegen des angenehmen Wetters, das hier herrschte. Während er auf einem Grashalm kaute, ließ er seinen Blick mit einem zufriedenen Lächeln über die Landschaft aus saftigen, nur von einigen Bachläufen und vereinzelten Waldstücken durchbrochenen Wiesen wandern. Alles vermittelte einen friedlichen, idyllischen Eindruck, und er bedauerte nicht, hergekommen zu sein.
Zu vieles war in den vergangenen Monaten geschehen, seit er Cavillon verlassen hatte, die Ordensburg, in der er aufgewachsen war und wo er längst seine Weihe zum Magier des Ishtar-Ordens hätte empfangen sollen. Aber so viel diese Weihe ihm einst auch bedeutet hatte, seit er um das Geheimnis seiner Herkunft wusste, lag ihm nichts mehr daran. Zeit seines Lebens war er ein Außenseiter gewesen, auch wenn es Menschen gegeben hatte, die ihm etwas bedeuteten. Maziroc hatte zu ihnen gehört, sein Mentor und Ziehvater, aber Maziroc war es auch gewesen, der ihm fast zwanzig Jahre verschwiegen hatte, dass sein wahrer Vater ein Fremder gewesen war, den es aus einer fremden Welt nach Arcana verschlagen hatte. Noch war Aylon nicht so weit, ihm dies zu verzeihen,
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