Das Vermächtnis des Rings
nicht merke, dass wir uns immer weiter von den Bergen entfernen. Der Wald sollte mich verwirren!«
»Ich muss zugeben, du bist klüger, als ich dachte«, knurrte Thyko.
»Mag sein. Doch weiß ich nicht, was genau du vorhattest. Vielleicht wolltest du mich im Schlaf überfallen, die Pergamentrolle nehmen und allein Weiterreisen. Vielleicht wolltest du mich aber auch zusammen mit der Botschaft an diesen Fremden ausliefern, von dem du geträumt hast. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall hätte dir die Rolle eine dicke Belohnung von den Thornali eingebracht. Immerhin hättest du verhindert, dass die Botschaft Gendelor erreicht. Dann wäre sein Heer am Breiten Pass geblieben, und die Thornali könnten das Heer des Königs im Süden mit Leichtigkeit überwältigen.«
»Noch hat Gendelor die Nachricht nicht«, wandte Thyko ein. »Denn angeblich hast du sie ja zwei Tagesritte von hier vergraben. Was nützt sie dir nun da? Ich sollte doch Grund zum Jubeln haben. Gendelor wird sie nie erhalten, weil ich dich gleich töte und mir dann die Nachricht hole.«
»Hältst du mich und Guneb für so dumm?«, fragte Kel in gespielt gekränktem Tonfall.
Thyko blickte Kel eine Weile nachdenklich an, dann ging ihm offenbar ein Licht auf. »Wer? Wer hat die Botschaft dort abgeholt?«
»Der Sohn des Kesselflickers. Du kennst ihn, er heißt Marti. Guneb weihte ihn ebenfalls in alles ein.
Marti wäre ohnehin besser für den Botenritt geeignet gewesen als wir beide zusammen. Sein Onkel ist Waldläufer und hat ihm sehr viel beigebracht. Marti kann sich lautlos bewegen, und wenn er nicht gesehen werden will, sieht ihn auch niemand. Er kennt die Gefahren des Rittes und weiß sie zu meistern. Um ihn braucht sich niemand zu sorgen. Es war eine sehr dumme Entscheidung, dass der Rat Marti nicht für die Aufgabe bestimmt hat, weil er jünger ist als wir.
Einen Tag nach unserer Abreise brach er auf und folgte unserer Spur. Ich habe einen abgebrochenen Ast unter den Stein geschoben, der auf der vergrabenen Rolle liegt. Marti wird dieses Zeichen gewiss sofort erkennen. Außerdem weiß er genau, wonach er suchen muss. In diesem Moment ist er dem Breiten Pass wahrscheinlich schon näher als wir. Wieso sollte er auch einen solchen Umweg machen wie du?«
Thyko zog sein Messer und lächelte Kel boshaft an. »Eine nette Geschichte hast du dir da ausgedacht. Allerdings steckst du nun in großen Schwierigkeiten. Ich glaube dir nämlich nicht.«
»Und warum nicht?«
Blitzschnell griff Kel an den Gürtel und zog seinen Dolch.
Thyko zuckte überrascht zusammen, doch als er Kels Klinge sah, grinste er selbstsicher. Kel war ein freundlicher Spinner und würde nicht gegen ihn ankommen. »Weil du ganz offensichtlich lügst. Wieso hättest du die echte Botschaft überhaupt mit auf die Reise nehmen sollen? Es wäre doch für Guneb und dich viel einfacher gewesen, sie dem Sohn des Kesselflickers schon im Dorf zu überreichen, anstatt sie erst umständlich irgendwo im Gelände zu vergraben.«
»Ein kluger Einwand. Doch du vergisst, dass Guneb auf eigene Faust handelte und den Rat hinterging. Der Ältestenrat hat ausdrücklich dich und mich für die Aufgabe bestimmt. Wir beide mussten also aufbrechen.
Guneb konnte auch nicht heimlich die echte Pergamentrolle gegen die falsche austauschen, denn die echte lag im Hause des Ratsältesten unter Verschluss. Zudem hätte der Ratsälteste den Schwindel durchschaut. Er wäre nicht auf das schlecht gefälschte Siegel hereingefallen.
Guneb konnte also nicht verhindern, dass wir beide mit der echten Botschaft aufbrechen, aber er konnte dafür sorgen, dass sie baldmöglichst aus deiner Reichweite gelangt.«
»Indem er mit dir ausmachte, die Botschaft bei unserer ersten Rast zu vergraben«, sagte Thyko.
»Und indem er Marti heimlich schickte, sie zu holen.«
Thyko steckte das Messer weg und erhob sich rasch. »Wenn das so ist, muss ich mich sehr beeilen. Du hast mir einen Gefallen getan, Kel. Du hast mir nämlich verraten, dass Marti einen vollen Tag nach uns aufgebrochen ist. Ich habe uns zwar tatsächlich vom Breiten Pass weggeführt, wie du vermutet hast, doch ich kann Marti noch immer abfangen, wenn ich mich spute!« Er grinste überheblich. »Du hast mir euren hinterhältigen Plan zu früh verraten!«
Kel blickte ihn bestürzt an.
»Aber das rettet dir das Leben«, fuhr Thyko fort. »Ich kann mich nicht auf einen Kampf mit dir einlassen, denn ich brauche all meine Kräfte, und jede Sekunde ist kostbar.«
Hastig
Weitere Kostenlose Bücher