Das Vermächtnis des Rings
Kel.
Thyko riss erschrocken die Augen auf. »Woher weißt du…?« Er unterbrach sich mitten im Satz. »Kareion? Woher soll ich das wissen? Hab den Namen noch nie zuvor gehört.«
»Interessant. Du hast im Schlaf geredet. So laut, dass ich davon wach wurde. Mehrmals hast du den Namen Kareion erwähnt. Und meinen Namen auch. Was hat das zu bedeuten?«
Thyko setzte eine trotzige Miene auf. »Du weißt, wie das mit Träumen ist. Oft haben sie nicht die geringste Bedeutung.«
»Du willst mir also weismachen, dass du diesen Kareion im Traum erfunden hast. Kann sein. Aus unserem Dorf ist er jedenfalls nicht. Und auch nicht aus dem Nachbardorf.«
»Lass mich in Ruhe, Quälgeist. Wir sollten lieber aufbrechen. Schließlich hängt viel vom Gelingen unseres Auftrages ab.« Thyko erhob sich und begann, seine Sachen einzusammeln.
Misstrauisch beobachtete Kel seinen Weggefährten. Er erlebte nicht zum ersten Mal, dass Thyko sich sonderbar verhielt: Immer, wenn man ihm Fragen über seine Heimatstadt stellte und über seine Lebensumstände, als er noch im Osten des Landes gelebt hatte, reagierte er gereizt oder gab dumme Antworten.
»Steh nicht nutzlos rum. Wir müssen weiter«, sagte Thyko und riss Kel aus seinen Gedanken. »Wir haben unserem König einen Dienst zu erweisen.«
Rasch sattelten sie ihre Echsen und brachen auf. Kel nahm den Blick nicht vom Rücken seines Weggefährten, und oft griff er sich unruhig an den Gürtel, als wolle er sich vergewissern, ob sein Dolch noch da sei.
Dichter Nebel stand in der Luft, und es war noch so kühl, dass die beiden Jungen wünschten, Wolljacken mit auf die Reise genommen zu haben. Sie warfen sich die Decken um, bis die Sonne höher am Himmel stand und genug Wärme spendete, dass sie die Decken wieder zusammenrollen und an die Sättel schnallen konnten. Schweigend ritten sie Stunde um Stunde, und gegen Mittag war es wieder so heiß wie am Tage zuvor. Ein breiter Waldstreifen war am Horizont zu erkennen.
»Ist das der Wald, den du gestern erwähnt hast?«, fragte Kel seinen Gefährten.
»Ah, er spricht wieder mit mir«, antwortete Thyko. »Hör zu, es tut mir leid, dass ich dich gestern Nacht so angefahren habe. Aber auch wenn ich’s mir nicht anmerken lasse: Ich fühle mich ebenso unwohl in meiner Haut wie du. Kein Wunder, dass ich schon schlecht träume.«
»Gestern klangst du doch noch so zuversichtlich. Was ist denn los?«
»Wir werden sehen.« Thyko ließ die Zügel locker, gab seiner Echse einen Klaps aufs Hinterteil, und das Tier verfiel in einen zügigen Galopp. Kel tat es seinem Gefährten nach, und eine halbe Stunde später erreichten sie den Rand des Waldes. Dicht standen die Bäume aneinander wie die Krieger einer Schlachtreihe, die keinen Feind zwischen sich durchschlüpfen lassen wollen. Kel sah, wie Thyko sein Reittier auf eine schmale Schneise im Unterholz zulenkte, und im Stillen gestand er sich ein, dass er die Schneise vermutlich übersehen hätte, wäre er alleine an den Wald gelangt.
Die beiden Echsen brachen durchs Unterholz, und schon nach wenigen Metern umgab die Reiter angenehm kühle Waldluft. Kel atmete tief durch und genoss den Duft nach Harz und Tannen. Sie folgten einem schmalen Pfad, der nach wenigen Metern in einen breiten Waldweg mündete. Ohne zu zögern, lenkte Thyko sein Tier nach links.
»He, warte mal!«, rief Kel und trieb seine Echse an, bis er Thyko eingeholt hatte. »Ist das auch bestimmt der richtige Weg?«
»Fängst du schon wieder an?«, erwiderte sein Gefährte in leierndem Ton. »Entweder du verlässt dich auf mich, oder du reitest allein weiter. Zum letzten Mal: Ich kenne den Weg. Wenn du…«
»Wenn ihr nicht wisst, wo’s langgeht, legt doch eine kurze Rast ein«, sagte eine raue Stimme, und im gleichen Augenblick sprangen zwei Trolle aus dem Unterholz und verstellten den Reitern den Weg. Die Echsen tänzelten unruhig zurück, blähten die Kehlsäcke und schnaubten verschreckt, doch Kel und Thyko zogen die Zügel straff und verhinderten, dass ihnen die Tiere durchgingen.
»Was wollt ihr?«, fragte Kel die beiden merkwürdigen Gestalten, die alles andere als einen vertrauenerweckenden Eindruck auf ihn machten. Der eine Troll war klein und rundlich, der andere riesengroß, mit gewaltigen Armen und Beinen.
»Wir sind Reiseberater«, antwortete der kleine, bei dem es sich offenbar um den Wortführer des Gespanns handelte. »Wir helfen euch, aus diesem finstren Wald wieder herauszufinden.«
»Kein Bedarf«, sagte Thyko
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