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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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weiter. Zusammen mit Aylon drängte sie sich zwischen den Eiben hindurch, bis sie die vorderste Reihe erreicht hatten.
    Der Greif kauerte in einer Ecke des Platzes. Er hatte die Pfoten ausgestreckt und seinen adlerähnlichen Kopf darauf gebettet. Er zitterte am ganzen Körper, und der Blick seiner Augen war trüb. Harlin und einige andere Eiben standen direkt neben ihm.
    »Was ist geschehen?«, erkundigte Shylena sich.
    »Wir wissen es nicht, aber es geht ihm offenkundig nicht gut«, antwortete der Eibenkönig. Auch er wirkte ratlos und zutiefst erschrocken. »Es begann um die Mittagszeit. Wir haben ihm Heiltränke gebraut, doch sie scheinen nichts zu nutzen. Nicht einmal das heilige Wasser aus den Quellen des Lebens konnte ihm helfen.«
    »Also hat es jetzt auch ihn getroffen«, murmelte Shylena. Ein harter Glanz trat in ihre Augen. »Das ist alles eure Schuld!«, schleuderte sie Harlin und den anderen Eiben anklagend entgegen. Sie sprach so laut, dass jeder auf dem Platz sie hören konnte. »Ich kann euch sagen, was mit ihm ist, aber wahrscheinlich wisst ihr es schon selbst. Ihr habt begonnen, den Zauber Ai’Bons zu verderben, und Mjallnir ist ein Teil dieses Zaubers. Nun geschieht mit ihm das Gleiche, was schon mit Teilen der Insel passiert ist. Habt ihr ernsthaft geglaubt, an ihm würde das Unheil, das ihr anrichtet, spurlos vorübergehen?«
    »Schweig!«, befahl Harlin barsch. »Du redest Unsinn, und das weißt du. Willst du selbst dieses Unglück benutzen, um es als Argument gegen uns zu verwenden?«
    Seine Worte, obwohl mit großer Entschlossenheit ausgesprochen, wirkten nicht besonders überzeugend, und Shylena schüttelte nur zornig den Kopf.
    »Nein, ich werde nicht schweigen, und du weißt so gut wie ich, dass ich Recht habe. Vielleicht ist dies die letzte Warnung, die euch zuteil wird, bevor ihr Ai’Bon vollends zerstört. Lasst ab von eurem Weg.«
    »Du weißt, dass wir das nicht mehr können, darüber haben wir erst gestern lange gesprochen«, antwortete Harlin, nun wieder mit überraschend sanfter Stimme. »Nur wenige Dutzend von uns haben den Übergang bislang nicht vollzogen, und nach langer Zeit der Vorbereitung stehen sie dicht davor. Sollen wir es ihnen nun plötzlich verwehren, ihren Platz als Unsterbliche in unserer Mitte einzunehmen, und sie damit zum Tode verurteilen? Skalos und Vilon haben heute die nötige innere Reinheit erreicht, und sie brennen darauf, heute Abend in die Quellen des Lebens einzutauchen. Willst du zu ihnen gehen und ihnen sagen, dass sie es nun doch nicht dürfen?«
    »Wenn es sein muss, ja«, entgegnete Shylena hitzig. »Und was die nötige Reinheit betrifft – vielleicht reicht sie für das Bad in den Quellen aus, aber mehr auch nicht. Ihr alle wisst, welche Wunden wir Ai’Bon damit schlagen.«
    »Wir haben Fehler gemacht, das wissen wir«, räumte Harlin ein. »Und jeder weitere von uns, der seine Körperlichkeit aufgibt, vergrößert den Schaden, aber es geht nur noch um einige wenige, und wir sind davon überzeugt, dass wir die Wunden mit der Zeit wieder heilen können.«
    »Reines Wunschdenken!«, hielt Shylena ihm entgegen. Sie deutete auf den Brief. »Reicht euch nicht einmal dies als Mahnung? Jeder von euch, der den Übergang noch vollziehen wird, könnte ebenso gut ein Schwert nehmen und es Mjallnir in den Leib rammen. Wie wollt ihr die Wunden heilen, wenn das Undenkbare geschieht und Mjallnir sterben sollte? Ach, verdammt, was rede ich überhaupt, ihr seid ja so verblendet in eurer Gier nach dem ewigen Leben, dass ihr nicht einmal richtig zuhört!«
    Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf, fuhr dann herum und stürmte mit weit ausgreifenden Schritten davon. Nach kurzem Zögern folgte Aylon ihr.
     
     
    Aylon hatte eine Weile mit sich gerungen, ob er auf Harlins Einladung hin der Übergangszeremonie beiwohnen sollte, zumal Shylena kategorisch erklärt hatte, dass sie keinesfalls daran teilnehmen würde. Doch schließlich siegte seine Neugier. Immerhin handelte es sich um ein Ereignis, wie er es sicherlich nie wieder erleben würde.
    Er hatte das Eintauchen in die Quellen des Lebens bislang nur für eine symbolhafte Umschreibung gehalten, doch nun musste er erkennen, dass es wörtlich zu verstehen war. Sie waren in eine gewaltige Grotte direkt unter dem Turm der Stadt hinuntergestiegen, die von zahllosen Fackeln fast taghell erleuchtet war und genügend Platz bot, selbst für ein Vielfaches der versammelten Eiben. Zahlreiche Quellen entsprangen in den Wänden,

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