Das Vermächtnis des Rings
ihn.
»Und dieser Weg wurde danach für alle Zeiten verschlossen, wie du selbst erzählt hast. Was gibt dir die Zuversicht, dass es mir gelingt, die Siegel zu brechen? Ich bin nicht viel mehr als ein kleiner Magierlehrling, und die Siegel wurden von einem Volk erschaffen, dessen Kräfte die der Ishtar um ein Vielfaches überstiegen, wenn es stimmt, was du mir erzählt hast.«
Shylena blieb stehen, drehte sich zu Aylon um und setzte sich auf einen der Felsen. Das Licht der Fackel verwandelte ihr Gesicht in pures Gold.
»Es stimmt«, sagte sie. »Aber die Siegel wurden erschaffen, um unliebsame Besucher daran zu hindern, nach Ai’Bon zu gelangen, nicht umgekehrt. Außer Mjallnir lebte damals niemand mehr auf der Insel. Die Siegel werden auch in dieser Richtung ihre Wirkung entfalten, aber längst nicht so stark. Deshalb habe ich die Hoffnung, dass wir es schaffen können. Und dass du mehr als nur ein kleiner Magierlehrling bist, hast du gezeigt, als du mich vor den Duuls gerettet hast.«
»Das war nur eine Illusion, die ich durch Charalons Reif erschaffen habe, und ich glaube nicht, dass uns solche Trugbilder in diesem Fall helfen können«, erwiderte Aylon.
Shylena machte eine ärgerliche Geste mit der freien Hand. »Dann frage ich mich, warum du überhaupt mitgekommen bist. Seit unserem Aufbruch höre ich von dir nur Einwände, warum wir es nicht schaffen können, und allmählich bin ich deine Schwarzseherei leid. Uns bleibt nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Was haben wir schon zu verlieren?«
»Höchstens unser Leben.«
»Und wenn schon«, stieß Shylena hitzig hervor. »Lieber sterbe ich bei dem Versuch, von hier zu entkommen, als den Rest meines Lebens auf Ai’Bon zu fristen.«
Diesmal widersprach Aylon ihr nicht. Er wusste tief in seinem Inneren, dass er selbst keine Ruhe finden würde, bevor sie nicht jede nur erdenkliche Möglichkeit ausgelotet hatten, die Insel doch noch zu verlassen.
Nach einer kurzen Pause stand Shylena wieder auf und kletterte weiter. Schweigend folgte Aylon ihr.
Die Zeit schien sich ewig zu dehnen, bis die gefährliche Kletterei über die glatten Felsen endlich ein Ende hatte und sie wieder halbwegs ebenen Boden erreichten. Erschöpft ließ Aylon sich an einer Wand zu Boden gleiten und schnappte nach Luft. Er hätte nie gedacht, dass es so schwer sein würde, die Grotte zu durchqueren. Mittlerweile schien ihn jeder einzelne Muskel zu schmerzen. Er war körperliche Anstrengungen dieser Art nicht gewohnt. Zwar hatte er sich darauf beschränkt, nur die allerwichtigsten Sachen aus seinen Satteltaschen herauszunehmen und in den Taschen seiner Kleidung zu verstauen, doch kam es ihm inzwischen vor, als ob er Tonnengewichte mit sich herumschleppte.
»Das schwierigste Stück haben wir überwunden«, sagte Shylena aufmunternd und kauerte sich ihm gegenüber nieder. Auch an ihr waren die Anstrengungen nicht spurlos vorübergegangen. Schweiß glänzte auf ihrer Haut, und ihr Atem ging abgehackt. »Zumindest hoffe ich das. Der eigentliche Stollen unter dem See dürfte wohl ziemlich eben verlaufen.«
»Hoffentlich«, presste Aylon matt hervor.
Sie gönnten sich nur eine kurze Rast, gerade lang genug, um wieder zu Atem zu kommen und ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Dann ging es weiter. Die Grotte verjüngte sich allmählich zu ihrem Ende hin, und schließlich standen sie vor einer hoch aufragenden Felswand, die ihnen das Weiterkommen verwehrte.
»Irgendwo hier muss der verschlossene Durchgang sein«, teilte Shylena mit. »Der Gang wurde damals zur Sicherheit an seinem Anfang und seinem Ende versiegelt.«
Skeptisch betrachtete Aylon die massive Felswand und schritt sie langsam ab. Dabei ließ er seine Finger über das Gestein streifen. Er verharrte bei jeder Unebenheit und prüfte sie genauer, doch stets handelte es sich nur um einen ganz natürlichen Riss im Felsen. Von einer Fuge, die die Umrisse eines Durchgangs markierte, konnte er nichts entdecken. Wenn es wirklich eine Öffnung gab, so war sie perfekt getarnt, vermutlich durch Magie.
Er trat ein Stück zurück und musterte die Wand noch einmal, doch diesmal verließ er sich nicht allein auf das, was ihm seine Augen zeigten. Stattdessen benutzte er die in ihm schlummernden Kräfte, um wie mit unsichtbaren geistigen Fühlern nach der Wand zu tasten.
Auf diese Art konnte er mehr als nur die Oberfläche erforschen, und schon nach wenigen Sekunden bemerkte er etwas.
Anders als bei dem vagen, für ihn nicht erfassbaren
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