Das Vermächtnis des Rings
Drachenpriester kennt. Dort legt er in drei Stunden drei Eier, denn die Drei ist die Zahl des Drachen, so wie sein Schwanz in drei Quasten endet, drei Öffnungen seine Nase und drei Hörner sein Haupt zieren, drei Herzen in seiner Brust schlagen und ein drittes Auge in seiner Stirn allen Geschöpfen bis auf den Grund ihrer Seele zu schauen und ihr Schicksal vorherzusehen vermag.
Golden, weiß und rot sind die Eier des Obersten Drachen, und nach drei Jahren entschlüpfen ihnen seine Kinder, die zu den Schutzpatronen des von ihm für würdig erachteten Reiches werden.
Dem goldenen Ei entschlüpft der Drache, der zum Patron der Könige und Fürsten wird, denn das Gold ist das Symbol ihrer Macht und Herrlichkeit.
Dem weißen Ei entschlüpft der Drache, der zum Patron der Gelehrten, Philosophen und Künstler wird, denn das Weiß ist das Symbol der reinen unbefleckten Weisheit und Lehre und der hehren Kunst.
Dem roten Ei entschlüpft der Drache, der zum Patron des gemeinen Volkes wird, denn das Rot ist das Symbol des Lebens und des Blutes, das – ungeachtet ihres Standes – durch ihrer aller Adern fließt.
Doch schon vor unerdenklichen Zeiten entzündete sich ein erbitterter Streit unter den Menschen und den Alten Geschöpfen der Welt, wer den Königen und Fürsten, wer den Gelehrten, Philosophen und Künstlern und wer dem gemeinen Volk zuzurechnen sei. Manch einer stellte sogar den Sinn dieser Einteilung in Frage.
Besonders hitzig brandete der Streit von Zeit zu Zeit unter den Kaufleuten, den Magiern, den Priestern und den Kriegern auf. Die Kaufleute verlangten, zu den Mündeln der goldenen Drachen gezählt zu werden, da es der Handel sei, durch den das Gold in das Land käme und der die Schatzkammern der Könige und Fürsten fülle. Die Magier und Priester beanspruchten den weißen Drachen auch für sich, denn ihre Kunst speise sich wie die der Philosophen, Gelehrten und Künstler aus dem reinen Licht der Erkenntnis. Die Krieger gar behaupteten, der rote Drache sei allein ihr Patron, da rot die Farbe des Blutes sei, das sie mit ihren Schwertern vergössen, um Reiche zu schützen oder zu erobern.
Die Drachen aber äußern sich nie zu diesem Streit. Obwohl sie, den alten Traditionen folgend, in den Tempeln das Licht der Welt erblicken und aufwachsen, die der Farbe ihrer Eier entsprechen – dem goldenen Drachentempel der Könige und Fürsten, dem weißen Drachentempel der Philosophen, Gelehrten und Künstler und dem roten Drachentempel des gemeinen Volkes –, und zeit ihres langen Lebens ihren jeweiligen Schutzbefohlenen ganz besonders eng verbunden bleiben, weisen sie keinen Gesandten ab – welcher Kaste er auch zugehörig sein mag –, der den Weg zu ihnen findet, solange er die althergebrachten Gebote beachtet und sich ihnen aufrichtigen Herzens nähert.
Eines Tages aber, so lautet eine uralte Prophezeiung, wird der Oberste Drache ein Zeichen setzen, durch das der Streit endgültig geschlichtet werden könnte. Doch bedarf es dreier Eigenschaften, das Zeichen richtig zu deuten: Klugheit, die von keiner Gelehrsamkeit getrübt wird, Demut, die nicht unterwürfig ist, und Besonnenheit, die keine Zaghaftigkeit kennt.
Aber wer auf dieser Welt – ob Mensch oder Altes Geschöpf –, vereinigt diese drei Eigenschaften in sich? Würden die anderen dieses wahrhaft weise Kind der Götter erkennen, selbst wenn es in ihrer Mitte lebte?
Und wären sie überhaupt bereit, seine Deutung des Zeichens zu akzeptieren, auch wenn sie ihnen nicht gefiele?
AUS DEM ›BUCH DER ALTEN ÜBERLIEFERUNGEN‹ VERFASST IM KLOSTER NOMAM ZU REVONNAH FINDRIEW DER ÄLTERE
In Mitheynanda, der Stadt des ewigen Frühlings im Reich Runnterum, war auch kalendarisch der Frühling angebrochen. Nach dem Ende des Winters, der keiner gewesen war, blühten überall leuchtend bunte Blumen und erfüllten die warme Luft mit ihrem süßen Duft. Vögel zwitscherten fröhlich in den knospenden Zweigen, farbenprächtige Schmetterlinge tanzten in großer Zahl wie kunstvoll bemalte Fächer umher, summende Bienen und Hummeln schwirrten auf ihrer rastlosen Nektarsuche geschäftig von Blüte zu Blüte. Auf den saftigen Wiesen und Weiden des kleinen Königreiches tollten übermütig die ersten Fohlen, Kälber, Lämmer und Zicklein des Jahres, als müssten sie vor schierer Lebensfreude bersten, wenn sie auch nur einen Moment innehielten.
Die Straßen der Stadt waren von lachenden Menschen bevölkert, unter die sich Zwerge, Trolle und Elfen gemischt
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