Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
Cholera zu schlagen, machte ein gutes Geschäft.
Zwei Monate lang tobte die Cholera in Jerusalem. Dann verschwand sie auf ebenso unerklärliche Weise, wie sie aufgetaucht war. Der Dämon wurde wieder in die Wasserreservoire gesogen, aus denen er aufgestiegen war. Die bösen Geister kehrten in die Brunnen und Teiche und Zisternen zurück, aus denen sie gekommen waren.
In der sephardischen Gemeinde war Isaak Adani der Letzte, der starb; in der aschkenasischen Reb Israel der Gerechte. Und es heißt, der Letzte, der während einer Epidemie stirbt, ist immer ein großer Mann.
Danach durchbrach die Stadt ihre Mauern und streckte einen grauen Fühler die Jaffa-Straße entlang. Die Moslems zogen in den Osten, die Juden in den Westen, und das neue Jerusalem begann. Viele Christen hatten bei Ausbruch der Krankheit in den Klöstern auf den Bergen Zuflucht gesucht und schrieben ihr Überleben nun ihrer spirituellen Überlegenheit zu.
Zwölftes Kapitel
Saul sagte: »Sie war das Mädchen deines Vaters.«
Ich saß da und betrachtete das Foto, das ich zwischen Daumen und Zeigefinger hielt: auf dicken Karton aufgezogen, wie ein Personalausweis, den Namen eines Fotografen in Tel Aviv auf die Rückseite gedruckt, eine Adresse in der Ben-Jehuda-Straße; an den Ecken abgerieben, als sei es in einem Portemonnaie oder einer Tasche herumgetragen worden,
und ausgebleicht, als hätte es zu viel Sonne gesehen. Das Gesicht war blass und ernst, mit großen Augen und sorgfältig aufgedrehtem Haar im Nacken und an den Schläfen. Ein Studio-Porträt: ein Bild zum Verschenken.
»Wer war sie? Wie war sie? Warum haben sie sich getrennt?«
»Was kann ich dir sagen? Wer weiß schon, wie sie war? Sie hieß Hannah. Sie war das Mädchen deines Vaters.«
Später fügte er, als wolle er einlenken, hinzu: »Sie war eine Jekke, eine Deutsche. Ich glaube, sie hat an der Musikschule unterrichtet.«
Es war schon ein starkes Stück, dachte ich, dass Saul mit seinen wiederholten Attacken, seinem »dein Vater hat deine Mutter nie geliebt«, plötzlich so verschlossen war, wenn es um dieses Thema ging. Sein Zögern steigerte meine Neugier nur noch. Diesmal war ich es, die ihm einen Seitenblick zuwarf, ich steckte mir das Foto in die Tasche und wartete auf den richtigen Moment.
Wohin er im Haus auch ging, ich hörte meinen Onkel wegen des schwachen Leierns des Radios, das an seinem Arm baumelte: im Bad, in der Küche, im hohen Schlafzimmer am Ende des Flurs, wo er voll bekleidet in einem Rattennest aus schmutzigen Laken schlief, überall kündete das Murmeln der Nachrichten von seiner düsteren Anwesenheit. Er trug seinen Kaftan nur abends, wenn es mit einem Schlag kälter wurde und er gezwungen war, unter Grimassen und widerstrebend den Paraffinofen anzumachen, der unsere einzige Wärmequelle war. Und jetzt, da er die magere Leistung des Ofens auch noch teilen musste, war er widerwilliger denn je und verschob das Anzünden auf die Zeit nach Einbruch der Dunkelheit. Er saß solange da, umklammerte das Radio und genoss die schwache Wärme, die es als Nebenprodukt der Sechs-Uhr-Nachrichten verströmte.
Er war sein ganzes Leben lang außerordentlich sparsam gewesen. Als junger Mann hatte er sich von Bagels und Wassermelonen ernährt. Einmal hatte er ausprobiert, eine Zwiebel in Wasser zu kochen, und die Erfahrung war so folgenschwer gewesen, dass er es nie wieder versucht hatte. Jetzt war er alt, lebte wie ein Mönch von seiner Rente und erinnerte sich immer noch an die Armut seiner Jugend. Für Saul gab es kein kluges Geldausgeben. Geld auszugeben war grundsätzlich unklug.
Als Junge hatte er Schriftsteller werden wollen. Jahrelang hatte er Notizbücher mit Gedichten und Geschichten vollgeschrieben und sie unter seiner Matratze versteckt. Da er schlampig war und mein Vater pingelig ordentlich, war es mein Vater gewesen, der sein Bett gemacht und die Notizbücher entdeckt hatte. Eine Zeit lang hielt er seine Entdeckung geheim. Dann konnte er nicht mehr an sich halten und zückte eines Abends, als die Familie beim Essen saß, ein Gedicht und las es laut vor. Das Ergebnis war ebenso komisch wie tragisch. Es war eine Demütigung, die sein Bruder ihm nie verzieh.
Das Problem, erzählte Saul mir später, war einfach dies: Über die Gedichte, die ernst gemeint waren, lachte die Familie sich kaputt, und über die Geschichten, die lustig sein sollten, schmunzelten sie nicht einmal. Und mit diesem Widerspruch fand mein Onkel sich nie ab, er symbolisiert
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