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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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nicht überhören, diese Handschrift nicht übersehen, die nach siebzig Jahren immer noch so frisch wie damals war.

    Ich zog den ganzen Stapel zu mir. Am anderen Ende des Dachbodens spiegelten die ordnenden Bewegungen meines Onkels die meinen wider.
    An interjection is a word
used to express some sudden feeling.
    Ich hoffte auf nichts. Die Lunge voller Staub griff ich in die Kiste.

Dreizehntes Kapitel
     
    Nach seiner wundersamen Genesung wurde mein Urgroßvater von einer seltsamen Unruhe ergriffen. Wenn er im Lehrhaus saß, wollte er spazieren gehen. Wenn er spazieren ging, wollte er zu Hause sein. Wenn er eine Schriftrolle schreiben wollte, schweiften seine Gedanken ab, und er musste die Arbeit beiseitelegen, damit er nicht, Gott behüte, beim Abschreiben des heiligen Namens einen Fehler machte.
    Er versuchte zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Seine Gedanken flatterten herum wie ein Schwarm Vögel. Ihn plagte das dringende Bedürfnis nach einer Offenbarung. Er war von der Unruhe erfüllt, die das Ende der Welt ersehnt.
    Shalom Shepher ging zum Rabbi. »Jetzt bin ich hier in Jerusalem«, sagte er, »und bin noch immer nicht zufrieden. Ich bin voller Sehnsucht, noch weiter nach Osten zu reisen.«
    Der Rabbi saß vor einem Glas Tee. Er rührte nachdenklich um und sagte: »Das ist sehr merkwürdig.«
    »Vielleicht«, murmelte mein Urgroßvater, »bin ich Opfer meiner niederen Triebe. Vielleicht wird der Wunsch des Menschen, nach Osten zu reisen, nie gestillt.«

    Shalom aus Skidel kehrte ins Lehrhaus zurück und begann zu lesen. Er las über das Jenseits und die kommende Welt. Er las über den Messias und das Ende aller Tage. Er las darüber, wie das Leid der Menschen in den letzten Jahren vor der Apokalypse zunehmen, wie Jerusalem trauern und gedemütigt werden, und wie seine Schönheiten brachliegen würden. Krieg und Pest würden ausbrechen, und die Frommen würden zugrunde gehen. Söhne würden ihre Väter verletzen und Töchter sich gegen ihre Mütter auflehnen. Das Gesicht dieser Generation würde sein wie das Gesicht eines Hundes, die Hand des Schreibers würde stocken und die Gelehrsamkeit verdorren.
    Er las weiter und lernte, wie die Erde sich zur Zeit des Armageddon winden würde: wie Hunger und Fluten, Feuer und Dürren über die Erde kämen. An einem Ort gäbe es Überfluss, aber keine Zufriedenheit; an einem anderen Armut und keinen Frieden. Die Berge würden beben und der Boden zittern; die Felsen würden laut schreien, und es würden himmlische Stimmen zu hören sein.
    Dann las mein Urgroßvater über die Tage des Messias: darüber, wie das Land geheilt und die Erde erneuert würde. Wie Brotlaibe auf den Feldern wüchsen und Flaschen voller Wein in den Weinbergen. Die Bäume würden täglich Früchte tragen und Kleider fertig gewoben von den Rücken der Schafe springen. Das Licht der Sonne würde Krankheiten heilen, und unter dem Tempel würden wundersame Quellen entspringen. Die Toten würden sich aus den Gräbern erheben, und aus allen vier Himmelsrichtungen würden die verlorenen Stämme Israels zurückkehren.
    Shalom Shepher ging noch einmal zum Rabbi. Der Rabbi aß Slatko mit Zuckerplätzchen. »Ich glaube, ich habe den Grund für meine Unruhe gefunden«, sagte Shalom Shepher. »Ich glaube, wir leben in den letzten Tagen. Der Heilige, er
sei gesegnet, hat mich in seinen Dienst berufen. Er will, dass ich zu den zehn verlorenen Stämmen reise.«
    Der Rabbi tauchte seinen Keks ein und dachte darüber nach. »Das ist ein interessantes Ansinnen«, sagte er. »Wenn Ihr wollt, kann ich Euch nach Europa schicken. Wir brauchen dort jemanden, der Almosen für die Armen Jerusalems sammelt.«
    »Oh, nein«, antwortete Reb Shalom. »Ich habe mich damit beschäftigt. Nach Babylon führt mich mein Weg.«
    Er ging nach Hause und forschte weiter. Er suchte in Geschichtsbüchern und Reiseberichten und Volksmärchen, in Legenden und Tagebüchern und Anekdoten. Er las nach, wie es die Stämme bis hinter den Fluss Sambatyon verschlagen hatte, einen reißenden Strom aus Sand und Steinen, der sechs Tage die Woche toste und am Shabbat ruhte; dass ihr König fünfeinhalb Meter groß war und einen Leoparden ritt und in einem Palast aus Edelsteinen lebte. Er las von Aaron Halevi, der in einem Boot ohne Nägel zu den Stämmen gereist war, durch ein Meer, das Feuer und Rauch spie, und der von vierundzwanzig Königen berichtete, die über vierundzwanzig Königreiche herrschten, unter einem obersten König mit

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