Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
nicht abgeschickt, beziehungsweise ich hätte ihn gar nicht erst geschrieben. Er war das Ergebnis eines müßigen Moments und eines müßigen Gehirns, ich hatte mich verpflichtet gefühlt, irgendetwas zu schreiben, und dabei kam dummer Unfug heraus. Ich bin nicht so deprimiert, wie es scheint - ich habe auch nicht so schrecklich wenig Geld -, es war nur ein Scherz. Ich habe versucht, den Teufel mit einem Besen zu töten, weil ich kein Gewehr zur Hand hatte.
Im Moment liege ich hier am Strand von Tel Aviv. Ich habe den großen Schritt unternommen, meine Schuhe auszuziehen, aber ich habe noch nicht im Meer gebadet. Die Sonne brennt erbarmungslos, und ich muss gleich aufstehen und eine Stunde unterrichten, aber ich bezweifle gerade, dass ich meine Beine je wieder bewegen kann. Mein Körper schmilzt in der Hitze, und mein Kopf ist voller Fragen, und ich kann mich nicht konzentrieren. Aber es steht geschrieben:
Gehet hin und mehret - das Geld nämlich, und so muss ich meinem Schöpfer gehorchen.
Ich kann das Geld nicht annehmen, das ihr mir freundlicherweise geschickt habt. Glaubt mir, ich habe genug, und ich brauche und möchte euer Geld nicht. Verletzt es euch, wenn ich euer Geschenk zurückgebe? Die Wahrheit ist, dass ich kein Recht darauf habe. Eure Liebe tut mir besser als alles andere.
Seid gesegnet im Namen
Amnons
Tel Aviv, 2. September 1937
Ihr Lieben, ich schreibe dies noch schnell, bevor ich nach Jerusalem komme - ich weiß selbst kaum, welche Gefühle in mir toben. In einem Moment bin ich glücklich, im nächsten fühle ich mich elend. In einem Moment scheint das Leben zu Ende zu sein, im nächsten fängt es gerade erst an. Wenn ich mich erklären könnte, wäre alles gut - aber jetzt schreibe ich nicht noch mehr Unsinn -, ich komme einfach zu euch nach Jerusalem, dann könnt ihr selbst sehen, was nicht in Worte zu fassen ist.
Ich will euch damit nicht erschrecken - nur fragen, ob ich noch jemanden mitbringen kann nach Kiriat Shoshan? Ich zweifle nicht daran, dass ihr ja sagt, also erwartet uns bitte zur Mittagszeit, in genau drei Tagen - »und möge der Erlöser nach Zion kommen, und lasst uns sagen: Amen!«
Bis dann seid gesegnet von
Amnon
Sie war zum Unterricht zu ihm gekommen, in dem kleinen Zimmer abseits der Dizengoff-Straße, das im Fenster, wie hundert andere auch, das handschriftliche Schild Man lehrt hier Hebräisch trug. Sie kam um drei Uhr und Herr Wasserstein um fünf. Sie war gegen die Kälte in einen dicken Wintermantel gehüllt.
Ihr Name war Hannah Entenmann, und sie war Violinistin. Sie war mit ihrer Geige in Hamburg an Bord eines Schiffes gegangen. Jetzt lebte sie bei ihrem Onkel über einem Gemischtwarenladen, gar nicht weit von der Ben-Jehuda-Straße.
Ihr Onkel trug eine blanke Kopfkuppel zwischen zwei Haarbüscheln: ein trockener, skeptischer, abweisender Mann. Gegen Kost und Logis arbeitete sie im Laden mit und wischte seinen fünf Kindern die Rotznasen ab. Sie lernte Hebräisch und spielte Violine. Sie war höflich und fleißig. Sie machte immer ihre Hausaufgaben. Sie sprach ihren Lehrer förmlich mit »Herr Shepher« an und achtete darauf, ihm immer in die Augen zu schauen.
Herr Shepher stellte fest, dass er einen regelmäßigen Bedarf an Schuhcreme, Bindfaden, Gummiband und Glühbirnen aus Entenmanns Gemischtwarenhandlung in der Nähe der Ben-Jehuda-Straße hatte. Anfangs stand normalerweise sie hinter der Theke. Dann tauchte Herr Entenmann mit seinen Haarbüscheln auf.
Er lockte sie hinaus. Sie saßen auf dem Platz unter den Platanen und lernten die Wörter für Sonne, Hitze, Durst . Er versuchte, sie zum Lachen zu bringen, aber sie lächelte bloß.
Einmal überredete er sie, für ihn zu spielen. Im Zimmer hinter dem Gemischtwarenladen, zwischen Staub und Möbeln und Stoffballen, spielte sie zehn Minuten lang, als sei er gar nicht da. Eine junge Frau, die in eine Violine verliebt
war. Ein junger Mann, der in die junge Frau verliebt war.
Sie war nicht hübsch. Sie hatte dunkles Haar und dunkle, undurchdringliche Augen. Struppige Haarsträhnen fielen ihr in das blasse Gesicht. Sie trug in der Frühlingshitze einen dicken Mantel und zog ihn widerstrebend aus, als es Sommer wurde. Sie war höflich, förmlich und lächelte. Er musste sie ganz vorsichtig, Stück für Stück, aus ihrem Kokon befreien.
Manchmal musste er Herrn Wasserstein absagen.
Die neuen Wörter, die sie lernte, nahmen in ihrem Mund einen besonderen Klang an, einen Akzent, der ihm bereits vertraut
Weitere Kostenlose Bücher