Das Vermächtnis des Templers
Stundengebeten teil und betet in unserer Klosterkirche an den Gräbern des heiligen Pantaleon, des heiligen Albinus und der heiligen Theophanu für die Seelen der verirrten Brüder, die den rechten Pfad des Glaubens verlassen haben.»
«Ich danke Euch für Eure Güte, ehrwürdiger Georgius», sagte Johannes, kniete erneut vor dem Abt nieder, der ihn segnete und in das Gästehaus führen ließ, wo man ihm einen Schlafplatz zuwies.
Am Nachmittag tat Johannes, was ihm der Abt geraten hatte. Er verließ das Gästehaus, wanderte durch den Weingarten, wandte sich nach Süden, entdeckte einen Kräutergarten und setzte sich dort auf eine Bank, von der aus man das Westwerk der Klosterkirche betrachten konnte. Ein hoher Rundbogen gewährte Einlass. Im Geschoss darüber befanden sich drei Fenster, dann folgte ein spitz zulaufender Giebel. Der Vierungsturm unmittelbar dahinter mochte etwa doppelt so hoch sein wie das Westwerk. Rechts und links davon erhoben sich schlanke Treppentürme, die einen quadratischen Grundriss hatten, aber nach oben hin erst achteckig und dann rund weitergeführt worden waren. Johannes betrat die Kirche und gelangte in einen großen Raum unterhalb des Vierungsturms, der das Westwerk mit dem Mittelschiff verband. Er blickte nach oben und sah eine Galerie, die aus Rundbögen gebildet wurde. Diese Bögen beeindruckten ihn sehr, denn sie bestanden abwechselnd aus weißem und rotem Sandstein. Er setzte seinen Weg fort und bemerkte in den Seitenschiffen Bauelemente des neuen Stils. Doch noch mehr fesselte ihn ein kleiner Altar, der im westlichen Seitenschiff seinen Platz gefunden hatte. Er bestand aus drei Eichenholztafeln, die mit Leinwand überzogen und in kräftigen Farben bemalt worden waren. Auf Goldgrund hatte der Künstler mit ungebrochenem Blau, Rot und Grün gearbeitet. Das linke der Bilder zeigte die Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria. In der Mitte sah Johannes eine Kreuzigungsszene und zur Rechten eine Abbildung der Darbringung Christi im Tempel. Johannes betrachtete die linke Tafel genauer. Hier verkündete ein Engel Gottes Segen: Ave Maria gracia plena. So stand es auf einem Spruchband. Dieser Engel war rot gekleidet, hatte einen grünen Umhang, aus dem seine Flügel hervortraten. Segnend erhob er die Hand. Maria in blauem Kleid mit rotem Umhang hielt in der Linken ein Buch und hatte die Rechte grüßend erhoben, so als nehme sie den Segen des Engels dankbar entgegen. Zwischen Maria und dem Engel wuchs eine Lilie in die Höhe.
Johannes ging weiter zum Chor, doch die Abbildung beschäftigte ihn noch immer. Zu schön war sie gewesen, dachte er. Zu schön. Und die Erinnerungen, die ihm dann in den Sinn kamen, erfüllten ihn mit großer Traurigkeit. Er betrat nicht mehr den Chor, sondern stieg hinab in die Stollenkrypta unterhalb des Altars, fand die Gräber, von denen der Abt erzählt hatte, kniete vor dem Altar der heiligen Theophanu nieder, wohlwissend, dass sie ihn verstanden hätte, und dann überließ er sich seinem Schmerz.
Er hatte mit den Mönchen die Stunde der Vesper gefeiert, mit ihnen gemeinsam Brot und Wein geteilt, die Gebete zur Komplet gesprochen und sich zur Ruhe gelegt. Als die Glocke zur Vigil rief, betrat Johannes mit ihnen noch einmal den Chor der Klosterkirche. Er erinnerte sich an die Worte des Abtes, blickte auf und bemerkte den Erzbischof. Rechts davon stand jener Mann, den der Abt als Gesandten des Papstes angekündigt hatte. Johannes durchfuhr es. Trotz der Amtstracht der Kurie erkannte er ihn sofort. Und dieser Mann blickte auch ihn an, ließ sich aber nichts anmerken und eröffnete gemeinsam mit dem Erzbischof den Gottesdienst.
Johannes war kaum in der Lage, den Gesängen und Gebeten zu folgen. Nachdem der Segen erteilt worden war, eilte er durch den Kreuzgang und lief zum Gästehaus. Er suchte nach seinem Gepäck, fand es unter dem Stroh und vergewisserte sich, dass Schwert und Bogen noch da waren. Dann hörte er Schritte. Jemand betrat die Zelle.
Johannes blickte zur Wand, denn er wusste, wer hinter ihm war.
«Ich hätte nicht gedacht, dich so bald wiederzusehen», hörte er ihn sagen.
Nun wandte sich Johannes doch um und blickte Alanus in die Augen.
«Du musst geradezu geflogen sein, um jetzt schon hier in Köln zu sein», sagte der.
«Und du?», erwiderte Johannes. «Welcher Geist hat dich so schnell fliegen lassen?»
Alanus wartete einen Augenblick, bevor er weitersprach.
«Man darf den alten Dingen nicht nachtrauern», sagte er ruhig. «Das Neue gibt
Weitere Kostenlose Bücher