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Das Vermächtnis des Templers

Das Vermächtnis des Templers

Titel: Das Vermächtnis des Templers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Andreas Marx
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hatte. «Ethica» hieß diese Schrift. Abaelard schrieb darin, das Gute liege nicht in den Handlungen der Menschen, sondern in ihren Absichten. Die Vorstellung einer Erbsünde, wie sie die Kirche vertrete, lehnte er ab. Auch war er der Meinung, dass die Lehre Christi schon von Sokrates und Platon vorweggenommen sei. Überhaupt hätten alle Religionen eine gemeinsame Grundlage und mündeten in gleichen ethischen Vorstellungen, etwa in der Aufforderung, seinen Nächsten zu lieben. Am Ende des Buches machte Abaelard eine Wendung, die Johannes ihm nicht zugetraut hätte. Offen gestand er ein, dass alle Wahrheit bei Gott liege, nicht mit der menschlichen Vernunft zu erfassen sei und dass es deshalb der Offenbarung bedürfe.
    Am Ende der Lektüre war die Position Abaelards für Johannes gar nicht mehr so abwegig. Wenn man davon ausging, dass der gläubige Mensch die Wahrheit Gottes letztlich durch Offenbarung erhalte, dann bestünde die Bedeutung der Kirche lediglich darin, ihn dorthin zu leiten. Sie selbst wäre aber nicht die Autorität, die im Besitz der alleinigen Wahrheit sein könne.
    Plötzlich kam Johannes der Gedanke, Jacques auf diese Dinge anzusprechen. Zwar war der bislang ein sehr wortkarger Lehrer gewesen, doch müsste er eine Meinung zu all dem haben. Und auch die Templer als christlicher Orden würden sich in irgendeiner Weise dazu verhalten. Johannes brachte die beiden Bände an ihren Platz zurück und verließ den Lesesaal.
    Am Abend war Jacques zurückgekehrt. Er teilte seinem Schüler mit, dass sie noch morgen weiterreiten würden. Johannes nahm diese Nachricht mit gemischten Gefühlen auf. Das Kloster war ihm in den letzten Wochen ein Ort der Sammlung gewesen, der ihm nach den Aufregungen der Reise wohlgetan hatte. Was nun auf ihn zukam, blieb völlig offen. Gleichzeitig war Johannes klar, dass es keinen Stillstand geben konnte. Seine Reise hatte noch kein Ende gefunden, vielleicht gerade erst begonnen. Immerhin blieb Zeit, sich von Thomas zu verabschieden. Er dankte dem Magister für die Möglichkeit, den eigenen Geist reisen zu lassen, in Regionen, die ihm bislang völlig fremd gewesen waren. Obwohl die Lektüre der vergangenen Tage mehr Fragen als Klarheit hervorgebracht hatte, sah Johannes deutlich, dass es hier noch viel zu entdecken gab.
    Die letzten gemeinsamen Stundengebete mit den Mönchen bekamen eine besondere Bedeutung, boten sie doch noch einmal die Möglichkeit, die Geborgenheit des Klosters zu spüren.
    In der Nacht träumte Johannes von dieser Geborgenheit, wobei die Menschen und die Gebäude von Jumièges und Loccum ineinander überzugehen schienen. Thomas der Magister verwandelte sich in Jordanus den Bibliothekar, der Abt Columbanus in den Loccumer Abt Lefhart. Die Bibliothek von Jumièges schien mit der Loccums zu verschmelzen, und alle Traumräume besaßen die gleiche vertraute Atmosphäre.
    Nach einem letzten Mahl im Refectorium verließen Jacques und Johannes am Morgen das Kloster, nicht ohne dem Abt für seine Gastfreundschaft gedankt zu haben. Sie erhielten Proviant für mehrere Tage und zwei frische Pferde. Nach einem kurzen Ritt erreichten sie den Fluss und bald darauf eine Fähre, mit der sie auf die andere Seite gelangen konnten. Dann ging es durch dichten Wald in südliche Richtung. Da beide Reiter nun ein eigenes Pferd besaßen, kamen sie schnell voran, zumal der Weg, den sie gewählt hatten, zwar schmal, aber frei von Hindernissen war. Gegen Mittag gelangten sie erneut an einen Fluss und machten Halt. Nachdem sie sich gestärkt hatten, nahm Jacques den Bogen, der am Sattel befestigt war, und forderte seinen Schüler auf, einige Schüsse zu versuchen.
    Johannes hielt den Bogen zunächst etwas unsicher, so als würde er ihn zum ersten Mal in der Hand halten. Er begann seinen Atem zu kontrollieren. Er legte den Pfeil auf und spannte den Bogen ohne große Anstrengung. Dann hielt er die gewonnene Spannung, ließ den Atem die folgenden Bewegungen unterstützen, doch schließlich löste sich der Schuss zu früh, und der Pfeil sauste ungezielt durch die Luft.
    Jacques zeigte sich trotzdem sehr zufrieden. Er lobte die körperliche Gelassenheit, die mit dem Spannen des Bogens einhergegangen war, und machte seinem Schüler Mut, nicht daran zu verzagen, den rechten Moment des Loslassens zu finden. Während der nachfolgenden Schüsse bemerkte Johannes, wie sehr die Konzentration auf den Atem die äußeren Reize zurückdrängte. Das Rauschen des Flusses und der leichte Wind, der durch

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