Das Vermächtnis des Templers
Wort…»
Jacques blickte Johannes an und lächelte.
«Gut beobachtet», sagte er kurz.
Zwei Tage später erreichten sie am späten Abend eine Lichtung, auf der sich ein einzelner Hof befand.
«Unsere letzte Station», sagte Jacques, als sie vom Pferd stiegen. «Diesmal keine Komturei. Wir werden in der Scheune schlafen.»
Ein Bauer kam aus dem Haus, begrüßte die beiden Reiter und nahm ihre Pferde entgegen. Jacques unterhielt sich kurz mit dem Mann, doch die Sprache war Johannes noch immer zu fremd, als dass er den Inhalt des Gespräches hätte verstehen können. Der Bauer ging davon und kam nach kurzer Zeit mit Wasser, Brot und Käse zurück.
Als es dunkel geworden war, forderte Jacques seinen Schüler auf, den Bogen zu ergreifen, die Mitte der Lichtung aufzusuchen und dort auf ihn zu warten.
Johannes nahm diese Aufgabe sehr ernst und setzte sich erst zu Boden, als er meinte, wirklich die Mitte gefunden zu haben, obwohl man das in der Dunkelheit eigentlich nicht recht beurteilen konnte. An der gewählten Stelle befand sich ein breiter Baumstumpf, wie geschaffen, um sich darauf niederzulassen. Johannes legte den Bogen und die drei Pfeile ins Gras und wartete.
Der Gedanke daran, dass dies die letzte Rast war und sie morgen ihr Ziel erreichen würden, stimmte ihn froh, obwohl er nicht recht wusste, was er dort erwarten konnte. In den letzten Tagen hatten sie die Pferde nicht geschont und eine Strecke zurückgelegt, die etwa dreimal so lang gewesen sein musste wie die von der Küste nach Rouen. Mehr und mehr kam ihm das alles wie eine Flucht vor.
Johannes blickte hinauf zum Himmel. In der Bibliothek des Klosters von Jumièges hatte er Karten gesehen, mit deren Hilfe man in der Nacht am Firmament bestimmte Sternkonstellationen auffinden konnte. Thomas hatte davon gesprochen, dass man sich mit Hilfe solcher Karten und einiger anderer Hilfsmittel auf der Reise orientieren könne, auch wenn es in der Umgebung keine weiteren Anhaltspunkte gäbe. Er sprach davon, dass die Schiffsführer solche Karten auf hoher See bei sich hätten, und nun kam Johannes der Gedanke, dass dies auch in dichtem Wald von großem Nutzen sein könnte. Erneut blickte er hinauf in die sternerleuchtete Finsternis und fühlte sich hilflos und ohnmächtig angesichts der gewaltigen Räume, die sich dort über ihm auftaten, Räume, deren Ausmaße er nie würde absehen können, deren Bedeutung er nie würde verstehen können.
Plötzlich hörte er rechts vor sich ein Rascheln. Etwas schien aus den Büschen hervorgesprungen zu sein und preschte mit unfassbar leichtfüßiger Schnelligkeit auf ihn zu. Johannes erstarrte für den Bruchteil eines Augenblicks, griff Pfeil und Bogen, richtete sich auf, blickte in die völlige Dunkelheit, dorthin, wo er dieses Etwas heranrasen hörte.
Dann schien alles stillzustehen. Ohne jegliche Empfindung bemerkte er, wie seine Hand den Pfeil auflegte. Sehne und Zugfinger nahmen Spannung auf. Bogen und Körper verharrten für den Bruchteil eines Augenblicks wie in völliger Zeitlosigkeit, bis der Pfeil sich löste und mit kaum wahrnehmbarem Zischen den Bogen verließ.
Johannes warf sich zu Boden, und er hörte, wie dieses Etwas zähnefletschend sprang und gleichzeitig entsetzlich aufschrie, wie es über ihn hinwegflog und etwa zehn Fuß entfernt zu Boden stürzte.
Dann war es still.
Sext
Gegen Mittag sitzen die Mönche gemeinsam im Refectorium und nehmen schweigend ihre Mahlzeit ein. Zuvor haben sie sich im Brunnenhaus gewaschen, in der Klosterkirche das Benedictus, das Gloria, das Kyrie gesungen, das Pater Noster gebetet, sind, den 51. Psalm intonierend, durch den Kreuzgang gezogen, um schließlich im Speisesaal ein Dankgebet anzustimmen. Auch die Sext gehört zu den kleinen Horen. Dennoch ist sie von besonderer Bedeutung. Sie leitet das gemeinsame Mahl der Mönche ein. Während sie Haferbrei, Gemüse und Brot essen und Wein mit Wasser dazu trinken, hören die Mönche dem Vorleser zu. Auch jetzt soll die Gegenwart Gottes bewusst sein. Johannes sitzt mitten unter ihnen. Auch wenn er der Abt ist, bleibt er doch ein einfacher Mönch, der zusammen mit seinen Brüdern die Communio bildet, zugleich die Gemeinschaft mit allen Kreaturen, die gelebt haben und gestorben sind, die Gemeinschaft aller, die auf und von dieser Erde leben. Die Communio ist die symbolische Teilnahme am Hochzeitsmahl der Schöpfung, ein Hochzeitsmahl der Ewigkeit. So speisen die Mönche in großer Demut und Wachsamkeit.
All dies geht Johannes
Weitere Kostenlose Bücher