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Das Vermächtnis des Templers

Das Vermächtnis des Templers

Titel: Das Vermächtnis des Templers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Andreas Marx
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bemerkte er, dass sie ihm noch immer nachblickte.
    Am späten Nachmittag kam Alanus ins Scriptorium und sah sich die Manuskripte an, die Johannes an diesem Tag fertiggestellt hatte.
    «Irgendwie bist du heute nicht bei der Sache», sagte er. «Was meinst du?»
«Deine Schrift ist sonst gleichmäßiger.»
Alanus blätterte Seite für Seite durch.
«Wie war es auf dem Markt?»
«Es gab dort eine Vorführung», antwortete Johannes. «Ein
    Bär war dort.»
«Ach ja», Alanus wandte sich vom Pult ab. «Die Gaukler sind
wieder in der Stadt. Eine traurige Sache, das mit dem Bären.» «Den Menschen schien es zu gefallen.»
«Mag sein. Aber für den Bären ist es eine Schinderei. Die
Männer zwingen ihn, Dinge zu tun, für die sein Körper nicht
gemacht ist. Und? Warst du noch einmal in der Kathedrale?» «Ja, gestern», antwortete Johannes. «Ich werde in den nächsten Tagen noch öfters dort sein. Die Beschäftigung mit den
Symbolen hat mich nicht klüger gemacht. Es muss in dieser
Kathedrale etwas geben, das man nur erkennt, wenn man sich
Zeit lässt.»
«Dann wartest du auf eine Eingebung?»
«Vielleicht auch das. Aber zunächst werde ich messen.» Alanus blickte ihn überrascht an.
«Ich habe Pläne von anderen Bauwerke gesehen», fuhr Jo
hannes fort.
«Du meinst Abbildungen?»
«Nein. Pläne, die den Verlauf der Grundmauern eines Bauwerkes darstellen, manchmal auch die Höhenverhältnisse.» «Meinst du solche Pläne wie im Musterbuch des Villard de
Honnecourt?»
«Ja. Nur habe ich derartiges für die Kathedrale von Laon
nicht gefunden, und auch Jorge, der in diesen Dingen sehr bewandert ist, behauptet, dass es dergleichen nicht gibt.» «Und nun willst du messen.» Alanus nickte. «Ein außergewöhnlicher Gedanke. Und selbst wenn du auf diesem Wege
nichts finden würdest, hätte es doch immerhin den Vorteil,
dass du gezwungen wärest, ganz genau hinzusehen. Ich bin
sehr gespannt.»
Alanus blickte nachdenklich zum Fenster, so, als würde er
dort draußen eine Antwort suchen. Dann drehte er sich um. «Doch jetzt komm», sagte er. «Es ist Zeit für die Hora. Ich
wollte dich abholen.»
Sie verließen das Scriptorium und traten gemeinsam mit den
anderen Brüdern in den Garten hinaus.
Auf dem Weg dachte Johannes daran, noch einmal den Rat
des Abtes einzuholen. Anselmus würde ihn sicher nicht ohne
eine Antwort lassen.
Als sie die Kapelle erreichten, waren seine Gedanken bei Marie. Deutlich erinnerte er sich, wie sie ihm nachgeblickt hatte,
bis er sie im Menschengetümmel des Marktes aus den Augen
verlor. Dieses Bild der Erinnerung nahm seine Sinne noch gefangen, als der Gesang der Brüder längst die Kapelle mit Klang
erfüllte.
    Anselmus hatte sich nur sehr verhalten geäußert. Die Kathedrale vermessen, ja, das sei ein interessanter Weg. Doch es komme immer darauf an, wie man das, was man dabei wahrnimmt, deutet. Mehr war dem Abt nicht zu entlocken gewesen. Doch Johannes genügte das, denn es bestätigte ihm, dass er seinen Weg vielleicht schon gefunden hatte.
    Am Vormittag stand Johannes erneut in der Kathedrale. Diesmal hatte er nicht seinen Bogen mitgenommen, sondern Schreibmaterial. In den Grundrisszeichnungen, die er von anderen Bauten gesehen hatte, gab es keine Maßeinheiten für Länge, Breite und Höhe. Es war allenfalls möglich, die aufgezeichneten Linien in ein Verhältnis zueinander zu bringen. Johannes entschied sich dafür, die Länge eines Schrittes zur Grundlage seiner Messungen zu machen. Dieses Verfahren erwies sich als einfach und brauchbar. Zwar waren seine Schritte nicht immer völlig gleich, aber wenn er eine Entfernung mehrfach abschritt und dann den Mittelwert der Messungen bildete, erhielt er aufschlussreiche Ergebnisse. Zudem ging er davon aus, dass auch die Maurer nicht völlig präzise gearbeitet hatten.
    Von Mal zu Mal wurden seine Schritte gleichmäßiger. Dies erleichterte das Messen. Dafür hatte er nun Probleme bei der Aufzeichnung. Nachdem er die Grundrissmaße des Mittelschiffs festgehalten hatte, zeigte sich, dass die ermittelten Verhältnisse der Seitenschiffe nicht mehr im gewählten Maßstab auf das Papier passten. Johannes blieb nichts anderes übrig, als zunächst alle Messungen in Zahlen festzuhalten, um später eine neue Zeichnung anzufertigen.
    Er war so sehr in die Dinge vertieft, dass er sich erst an die Gebetsstunde der Sext erinnerte, als er alle Messungen an Mittelund Seitenschiffen notiert hatte. Eilig verließ er die Kathedrale.
    Statt zum Ordenshaus zurückzukehren,

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