Das Vermächtnis von Atlantis ("Alantis"-Trilogie) (German Edition)
ihrem ganzen Körper ausbreitete. Als sie den Arm ausstreckte, sah sie, wie er anfing, durchsichtig zu werden und sich aufzulösen. Die Finger waren zuerst verschwunden, dann der Unterarm … Als sie auf ihre Füße guckte, waren sie schon weg. Das Kribbeln hielt an. Ihre Beine lösten sich auf, der Bauch, der Oberkörper … Schließlich hatte Sheila das Gefühl, dass nur noch ihr Kopf sichtbar war. Doch als sie auf ihre Nase schielte, konnte sie auch die nicht mehr sehen.
Ein Gefühl der völligen Entspannung breitete sich in ihr aus. Sie fühlte sich schwerelos, und als sie ihre unsichtbaren Arme und Beine ausstreckte, hatte sie den Eindruck, sie endlos ausdehnen zu können. Jetzt entdeckte sie auch ein durchscheinendes Gesicht vor sich, das in der Luft schwebte. Eigentlich sah sie nicht mehr als die Augen. Es war Irden … Als er zu ihr sprach, umhüllte sie seine Stimme wie eine warme Decke.
»Gut so, Sheila! Wir schaffen es … Vertrau mir … Lass dich treiben! So ist es prima.«
Sheila schwebte in der Luft. Das Aquarium lag unter ihr und sie konnte die Kraken von oben beobachten. Irden war ganz dicht bei ihr, sie fühlte seine Gegenwart als leichtes Gewicht. Gemeinsam schwebten sie durch den Raum, glitten durch den Türspalt und dann den Gang entlang.
»Weißt du, dass Fortunatus hier ist?«, fragte Sheila.
Irden war überrascht. »Fortunatus? Wie kann das sein? Ich habe doch sein Gedächtnis gelöscht.«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Sheila. »Irgendwie muss er seine Erinnerung zurückerlangt haben. Jedenfalls ist er im Palast und arbeitet für Zaida.« Sie erzählte Irden von den aggressiven Delfinen und wie sie das Jungtier angegriffen hatten.
»Wir müssen dir auch eine Menge erzählen«, sagte Irden. »Zaida hat schon viel erreicht. Aber lass uns später darüber reden. Jetzt müssen wir uns ganz auf unsere Flucht konzentrieren.«
Sie schwebten durch einen kleinen Raum. Das war wohl Fortunatus’ Büro. Der Wissenschaftler saß an einem Schreibtisch und hatte einen Stapel Papiere vor sich. Er hielt einen Stift in der Hand und schrieb emsig Zahlenreihen.
Auf dem Schreibtisch lag in einer kleinen Schale die Kette mit dem Amulett, die er Sheila abgenommen hatte. Sheila entdeckte die Kette sofort. Sie machte Irden darauf aufmerksam.
»Er hat sie mir gestohlen, Irden! Ohne das Amulett kann ich mich nicht mehr in einen Delfin verwandeln.«
»Keine Panik«, flüsterte Irden. Er und Sheila schwebten von der Decke hinab, bis sie dicht über dem Schreibtisch waren. Fortunatus schien sie nicht wahrzunehmen. Sheila sah sein angespanntes Gesicht. Er kratzte sich die Nase und runzelte die Stirn, dann steckte er kurz den Stift hinters Ohr und starrte ins Leere.
Sheila spürte, wie Irden sich dehnte und seine unsichtbare Hand über das Amulett legte. Sie fühlte sofort den Energiestrom des Weltensteins. Es war, als flösse warmes Wasser durch sie hindurch. Irden ließ seine Hand mit dem Stein verschmelzen. Der silbrig glänzende Stein löste sich funkelnd auf und stieg wie glitzernder Staub in die Luft. Fortunatus merkte nicht, dass dieSchale auf einmal leer war. Er war viel zu sehr mit seinen Zahlen beschäftigt.
Irden und Sheila zogen sich lautlos zurück. Sie schwebten durch den Palast, erreichten einen langen dunklen Gang und stießen schließlich gegen die Außenwand.
»Entspann dich«, flüsterte Irden noch einmal. »Sei ganz locker. Und vertrau mir. Ich bin bei dir. Und wir haben außerdem dein Amulett.«
Es tat weh, als Irden versuchte, die Wand zu durchdringen. Sheila spürte einen brennenden Schmerz. Es war wie ein Feuer, in dessen Flammen eine böse Kraft züngelte. Irden versuchte, die Kraft unter Kontrolle zu bringen – und es gelang ihm, die Temperatur des Feuers auf ein erträgliches Maß zu verringern. Als sie die Wand durchdrangen, hatte Sheila für einen Augenblick den Eindruck, mit Irden völlig zu verschmelzen. Sein Wissen, seine Weisheit, seine Erfahrung – dies alles war plötzlich auch ein Teil von ihr. Sie spürte die Macht über die Magie, aber auch die Verantwortung für den sinnvollen Umgang mit der Zauberkraft. Es war ein wunderbares und zugleich beängstigendes Gefühl, ein Empfinden allergrößter Nähe. Sheila wusste mit einem Mal, dass sie Irden immer und überall vertrauen konnte und dass dieses Vertrauen durch keine Macht der Welt zerstört werden würde. Das war ein beglückender Moment.
Dann hatten sie die Wand überwunden, und Irden wurde wieder zu Irden
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