Das Vermächtnis von Erdsee
»Fällt dem Hüter des Hauses wohl schwer, die Schlüssel abzugeben, wenn der Eigentümer zurückkehrt.«
»Der Ring der Friedens ist wieder zusammengefügt«, sagte der Kräuterkundige mit seiner geduldigen, besorgt klingenden Stimme, »die Prophezeiung hat sich erfüllt, Morreds Sohn ist gekrönt - und doch haben wir keinen Frieden. Wo sind wir in die Irre gegangen? Warum können wir das Gleichgewicht nicht finden?«
»Was hat Thorion vor?«, fragte der Namengeber.
»Lebannen hierher zu bringen«, antwortete der Kräuterkundige. »Die jungen Männer reden von der >wahren Krone<. Eine zweite Krönung hier auf Rok. Durch den Erzmagier Thorion.«
»Bewahre!«, platzte Irian heraus und machte das Zeichen, das verhinderte, dass aus Worten Taten werden. Keiner der Männer lächelte und nach einigen Augenblicken machte der Kräuterkundige dasselbe Zeichen.
»Wie hält er sie alle in seinem Bann?«, fragte der Namengeber. »Kräuterkundiger, Ihr wart dabei, als Sperber und Thorion von Irioth herausgefordert wurden. Seine Macht war so groß wie die Thorions, würde ich sagen. Er setzte sie an lebenden Menschen ein, um sie vollkommen zu beherrschen. Ist es das, was Thorion tut?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte der Kräuterkundige. »Ich kann Euch nur so viel sagen: Wenn ich mit ihm im Großhaus bin, dann fühle ich, dass nur das getan werden kann, was schon immer getan wurde. Dass sich nichts ändern wird, nichts wachsen wird. Dass die Krankheit, was auch immer ich an Heilmitteln einsetze, zum Tod führen wird.« Er sah sie alle nacheinander an wie ein verwundeter Ochse. »Und ich glaube, das ist wahr. Es gibt keinen Weg, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, als still zu halten. Wir sind zu weit gegangen. Dass der Erzmagier und Lebannen leibhaftig in den Tod gingen und wiedergekehrt sind - das war nicht recht. Sie haben ein Gesetz übertreten, das nicht übertreten werden darf. Und um dieses Gesetz erneut in Kraft zu setzen, ist Thorion wiedergekommen.«
»Und was, wenn man sie in den Tod zurückschickte?«, meinte der Namengeber und gleichzeitig fragte der Formgeber: »Wer kann sagen, was das Gesetz ist?«
»Da ist eine Wand«, sagte der Kräuterkundige.
»Das Fundament dieser Wand reicht nicht so tief wie die Wurzeln meiner Bäume«, erwiderte der Formgeber.
»Aber du hast Recht, Kräuterkundiger, wir sind aus dem Gleichgewicht geraten«, sagte Kurremkarmerruk und seine Stimme war hart und schneidend. »Und wo haben wir angefangen, zu weit zu gehen? Was haben wir vergessen, vernachlässigt, leichtfertig übersehen?«
Irian schaute von einem zum anderen.
»Wenn das Gleichgewicht gestört ist, ist es nicht gut, still zu halten. Es muss noch mehr gestört werden«, sagte der Formgeber. »Bis...«, und er machte eine rasehe Kippbewegung mit der Hand, die das Obere nach unten kehrte.
»Was kann falscher sein, als sich selbst durch Beschwörung aus dem Tod zurückzuholen?«, gab der Namengeber zu bedenken.
»Thorion war der Beste von uns allen, ein unerschrockenes Herz, ein edler Geist.« Der Kräuterkundige klang fast ärgerlich. »Sperber liebte ihn. Wie wir alle.«
»Sein Gewissen plagte ihn«, sagte der Namengeber. »Sein Gewissen sagte ihm, nur er allein könne die Dinge in Ordnung bringen. Um das zu tun, leugnete er seinen Tod. Dadurch verleugnet er das Leben.«
»Und wer soll sich gegen ihn erheben?«, fragte der Formgeber. »Ich kann mich nur in meinen Wäldern verstecken.«
»Und ich in meinem Turm«, sagte der Namengeber. »Und Ihr, Kräuterkundiger, und Ihr, Pförtner, sitzt in der Falle, im Großhaus. In den Mauern, die wir errichtet haben, um alles Übel fern zu halten. Oder darin einzuschließen, wie es jetzt der Fall sein mag.«
»Wir sind zu viert gegen ihn«, erwiderte der Formgeber.
»Sie sind zu fünft gegen uns«, meinte der Kräuterkundige.
»Ist es so weit gekommen«, sagte der Namengeber, »dass wir hier am Rand des Waldes stehen, den Segoy geschaffen hat, und darüber reden, wie wir uns gegenseitig vernichten?«
»Ja, sagte der Formgeber. »Was zu lange unverändert bleibt, zerstört sich selbst. Der Hain ist ewig, weil er stirbt und durch sein Sterben fortlebt. Ich werde nicht zulassen, dass diese tote Hand mich berührt. Oder den König, der uns Hoffnung gebracht hat. Eine Verheißung ist ausgesprochen worden, ausgesprochen durch mich, ich habe gesagt: >Eine Frau auf Gont<, und ich will nicht, dass diese Worte in Vergessenheit geraten.«
»Sollen wir denn nach Gont fahren?«,
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