Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
sie in Terilla bei Calvyn sein und erlernen, was so ein wichtiger Teil seines Lebens war.
Eines wusste Jenna: Sie liebte Calvyn. Aber war es ihm überhaupt recht, wenn sie sich der Magie verschrieb? Oder würde er es als Einmischung empfinden?
»Angenommen, ich nehme Euer Angebot an, Lomand. Was ist dann mit meinem Dienst in Baron Keevans Heer? Was würdet Ihr mir raten?«
»Gute Frage«, erwiderte Lomand nachdenklich. »Dann stelle ich dir mal eine Gegenfrage. Sollte ich jemandem, der schon einmal eine Verpflichtung gebrochen hat, überhaupt so ein Angebot machen? Woher weiß ich, dass du diesmal dabeibleibst und dich nicht morgen ins nächstbeste aufregendere Abenteuer stürzt?«
»Das ist aber ungerecht. Jenna war doch …«, kam Calvyn ihr zu Hilfe.
»Dich habe ich nicht gefragt«, unterbrach Lomand ihn, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. »Wenn mich nicht alles täuscht, kann Jenna ganz gut für sich allein sprechen.«
Jenna nickte. Ihre Gedanken rasten von einer Antwort zur nächsten wie ein Eichhörnchen von Ast zu Ast. Damit Lomand ihr Zögern nicht als Unentschlossenheit auslegte, rang sie sich schließlich zu einer Entgegnung durch.
»Ich bestreite nicht, dass ich meinen Vertrag mit Baron Keevan gebrochen habe, Lomand. Aber ich hatte immer vor, zurückzukehren und die Folgen meines Handelns auf mich zu nehmen. Ja, ich gebe es zu, unter ähnlichen Umständen würde ich wieder genauso handeln und auch wieder eine bestehende Verpflichtung brechen. Du kannst mir wahrlich nicht vorwerfen, dass ich mich leichtfertig ins Abenteuer gestürzt habe. Es war ja eher so, dass sich das Abenteuer auf mich gestürzt hat.«
Lomand musterte sie nachdenklich. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Eine gute Antwort, Jenna. Ehrlich und aufrichtig. Siehst du, Calvyn? Die junge Dame hier braucht sich nicht hinter ihrem Beschützer zu verstecken. Aber meine eigentliche Frage hast du noch nicht beantwortet, Jenna. Willst du dich zur Magierin ausbilden lassen?«
Diesmal brauchte Jenna nicht lange zu überlegen. »Ja«, sagte sie entschlossen, »das will ich.«
»Sehr schön«, freute sich Lomand und klatschte mit der Hand auf seinen stattlichen Oberschenkel. »Dann kann’s ja losgehen. Wir fangen am besten mit den Anstandsregeln an. In deinen Ohren mag das alles selbstverständlich klingen, Jenna, aber dein Schatz hier hat noch reichlich Nachholbedarf.«
Jenna stimmte in Lomands Lachen ein, teils weil es ansteckend auf sie wirkte, teils weil er Calvyn als ihren »Schatz« bezeichnet hatte. Calvyn freute sich wohl auch über ihre Entscheidung, denn er strahlte übers ganze Gesicht.
In der folgenden Stunde hielt Lomand einen Vortrag über Verhaltensregeln und Umgangsformen für angehende Magier. Die Zeit verging wie im Fluge, denn er schmückte seinen Vortrag mit anschaulichen Anekdoten aus, die Calvyn und Jenna immer wieder zum Lachen brachten. Calvyn war diese Seite an Lomand neu. Er fand ihn erfrischender und seine Ausführungen lehrreicher als bei jedem anderen der Meister in Terilla.
Kurz nach Mittag bezog sich der Himmel wieder. Zunächst waren es nur weiße Schleierwölkchen, doch nach und nach zogen von Osten her immer dickere Wolken auf und schon bald gab es für die Sonne kein Durchkommen mehr.
Jenna war in ihre ersten geistigen Konzentrationsübungen vertieft und Calvyn lernte gerade neue magische Formeln, als die Wolken sich senkten und schließlich so tief hingen, dass sie die gesamte Reisegruppe in einen dichten feuchten Nebel einhüllten. Bald nahmen Calvyn und Jenna die Großmagier nur noch als undeutliche dunkle Schatten wahr.
»Es hat keinen Sinn«, erklärte Akhdar so laut, dass alle ihn hören konnten. »Wir müssen haltmachen und abwarten. Bei diesem Nebel ist es einfach zu gefährlich, wir könnten uns leicht verirren. Kommt, wir schlagen unser Lager auf.«
»Aber warum schaffen wir uns den Nebel nicht mithilfe von Magie vom Hals, Lomand? Mit dem Stab des Dantillus schafft Akhdar das doch bestimmt, oder?«, fragte Calvyn, als sie die Zelte von den Packpferden luden.
»Ins Wettergeschehen sollte man sich niemals einmischen, Calvyn. Die Auswirkungen könnten gewaltig sein. Wenn wir den Nebel hier auflösen, entstehen womöglich Luftbewegungen, die anderswo zu Naturkatastrophen führen.«
»Aber was war dann mit gestern Abend?«, fragte Calvyn überrascht.
»Meister Akhdar hat ja nicht das Wetter beeinflusst, Calvyn. Er hat uns nur davor geschützt. Das ist etwas
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