Das Vermächtnis von Thrandor - Der Pfad der Jägerin
verstummte und sein Kopf sank zur Seite. Jenna streichelte sein Gesicht. Die Tränen strömten ihr über die Wangen.
»Ich glaube, er weiß schon, was du heute für ihn getan hast«, schluchzte sie. »Aber ich sage es ihm, versprochen.«
»Komm schon, Shanier. Halt ihn zusammen, um Shands willen!«, fluchte Kommandeur Chorain, als ein großes Loch in der Nebelwand seinen Soldaten einen Pfeil- und Steinhagel von der Stadtmauer her bescherte. Soweit er es beurteilen konnte, waren die Shandeser jedoch trotz der schweren Verluste drauf und dran, die Mauer einzunehmen.
Mantor würde fallen, da war sich Chorain sicher, es war nur eine Frage der Zeit. Offen war nur, wie viele Menschen dabei ihr Leben verlieren würden.
Den Schild über dem Kopf, um sich vor herabregnenden Wurfgeschossen zu schützen, suchte Chorain auf der Stadtmauer nach dem König von Thrandor. Wenn seine Leute ihn töten oder, besser noch, gefangen setzen konnten, so wäre das ein unglaublicher Schlag gegen ihre Gegner.
Doch vom königlichen Banner war nichts zu sehen.
»Verdammt!«, murmelte er. »Hoffentlich bekommt ihn Simion nicht vor mir zu fassen.«
Schon der Gedanke war unerträglich. Doch Chorain blieb für den Moment nichts anderes übrig, als möglichst viele Männer möglichst lange am Leben zu halten, damit sie seinen Abschnitt der Stadtmauer einnahmen. Die Ehre würden wie immer die einheimsen, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren und Selbsterhaltungstrieb genug besaßen, um zu überleben.
Das Loch im Nebel schloss sich und beide Seiten waren wieder blind.
Seit über einer Stunde tobte die Schlacht rund um die Stadtmauer nun schon. Schlachtrufe und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden erfüllten die Luft. Allseits herrschte Verwirrung und keiner der Kommandeure konnte Genaues über den Schlachtverlauf sagen. Sie hatten keine andere Wahl, als ihren Männern Mut zu machen und darauf zu vertrauen, dass Lord Shanier den Überblick hatte und rechtzeitig Verstärkung einsetzte.
Oben auf der Stadtmauer lehnte sich Kommandeur Simion fluchend gegen die Brustwehr. Aus einer klaffenden Stichwunde oberhalb der Hüfte sickerte Blut. Seine Männer hatten sich auf der Mauer festgesetzt. Um ihn herum wütete der Kampf. Er wusste, er würde kaum noch etwas dazu beitragen können, denn er wurde zunehmend schwächer.
Die Wunde war tief. Sie musste rasch behandelt werden, sonst kostete sie ihn womöglich das Leben. Doch mitten im Schlachtgetümmel gab es keine Hilfe.
Langsam, aber sicher wurden seine Männer zurückgeschlagen. Wenn nicht schnell Nachschub kam, überlegte Simion, würden sie die Stellung, für die sie so viele Menschenleben hatten hingeben müssen, wieder verlieren. Dann müssten sie wieder von vorn beginnen und sich erneut unter schweren Verlusten den Weg nach oben erkämpfen. Das musste Simion verhindern. Der Kommandeur beugte sich weit über die Brustwehr und brüllte den Männern unter ihm Anweisungen zu, so laut, dass sie das Kampfgetöse übertönten. Dann sammelte er alle Kraftreserven, die er noch in sich hatte, und stürzte sich noch einmal in den Kampf.
Wie rasend stürzte sich Simion auf die Verteidiger, die vor dem selbstmörderischen Angriff des Kommandeurs
entsetzt zurückwichen. Die shandesischen Soldaten folgten mit neuer Zuversicht seinem Beispiel und warfen sich brüllend auf ihre Gegner.
Sekunden später stürzte Simion, tödlich getroffen vom Schwerthieb eines verzweifelten Gegners, von der Stadtmauer. Sein Angriff hatte jedoch das Schlachtenglück für den Moment gewendet und immer mehr shandesische Soldaten strömten auf diesen Teil der Stadtmauer.
Den ganzen Vormittag wütete die Schlacht und beide Seiten hatten unzählige Tote zu beklagen. Keine der Parteien konnte sich einen nennenswerten Vorteil verschaffen. Die Angreifer waren zahlenmäßig überlegen, dafür hatten die Verteidiger die bessere Stellung und brachten den Shandesern daher große Verluste bei. Entscheidend war, wer die Stadtmauer beherrschte. Nach und nach zeichnete sich ab, dass die Shandeser dank ihrer großen Überlegenheit den Sieg davontragen würden.
Gegen Mittag verzog sich unvermittelt der Nebel. Klare Sicht herrschte nun überall in der Stadt, die jedoch immer noch von einem weißen Nebelring umgeben war. In kürzester Zeit überwältigten die shandesischen Streitkräfte die letzten Verteidiger und besetzten die gesamte Stadtmauer.
Eine einsame Gestalt im wehenden schwarzen Umhang trat aus der Nebelwand und
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