Das Vermächtnis von Thrandor - Die silberne Klinge
einfache Sprüche gezeigt, die mit anderen Elementen in Verbindung stehen, doch es scheint mir, er hat sich nur auf einen bestimmten Typ von magischen Formeln spezialisiert und ist auch nur auf diesem Gebiet fortgeschritten.«
»Also, ich werde nicht dulden, dass du den anderen Schülern derartigen Unsinn in den Kopf setzt«, erklärte Chevery missbilligend. »Wenn ich mitbekomme, dass einer der Schüler
von deinen versponnenen Ideen faselt, werde ich dich persönlich der Akademie verweisen. Ist das klar?«
»Ja, Meister Chevery«, antwortete Calvyn unterwürfig.
»Na schön. Ich werde mit den anderen Meistern über deine heutige Großtat sprechen, da kannst du dir sicher sein.«
Calvyn fasste diese letzte Warnung als Entlassung auf, sammelte seine Bücher zusammen – das Zauberbuch eingeschlossen – und verließ den Raum. Er schäumte vor Wut. Wieso hatte der Großmagier derart aggressiv auf seinen Fleiß und sein Können reagiert? Was war nur mit diesem Mann los? Wollte er nicht, dass seine Schüler vorankamen? Er war ganz anders als alle Lehrmeister, die Calvyn bisher kennengelernt hatte. Nun gut, als er das Tabu gebrochen hatte, innerhalb der Magierakademie Zauberei anzuwenden, hatte er dem Meister einen Grund gegeben, böse zu sein. Aber doch nicht mit der perfekten Ausführung einer Hausarbeit und den zusätzlichen Ergebnissen, die er heute vorgestellt hatte.
Calvyn knirschte mit den Zähnen und schwor sich, dass er dem Großmagier keinen Anlass liefern würde, ihn von der Schule zu verweisen. Er musste einfach weiterhin unter Beweis stellen, dass er den anderen in der Klasse weit voraus war, dann hätte Chevery keine andere Wahl, als ihn mit den fortgeschrittenen Adepten studieren zu lassen.
Ein lautes Klopfen an der Tür schreckte Jenna aus ihren Tagträumen auf. Das Gästezimmer, das ihr Lomand für ihren Aufenthalt zugewiesen hatte, war wirklich bequem, aber Jenna langweilte sich. Daher hatte sie beschlossen, sich erneut auf den Weg zu machen. Es war an der Zeit, nach Thrandor zurückzukehren und Baron Keevan ihr Handeln zu erläutern. Doch vor allem brannte in ihr der Wunsch, Calvyn zu finden und ihm zu sagen, was sie wirklich für ihn empfand.
Wenn es so etwas wie Gerechtigkeit gab, würde der Baron sie für ihren Mut und ihre treuen Dienste auch fernab des Heeres belohnen. In Wahrheit wusste Jenna, dass sie wohl eher bestraft und aus dem Heer ausgeschlossen würde. Das Leben konnte grausam sein, aber wenn ihr die Rückkehr zum Baron ermöglichte, Calvyn wiederzusehen, würde sie alle Strafen erdulden, die ihr Keevan auferlegte.
Jenna öffnete die Tür und draußen stand Lomand. Seine massige Gestalt blockierte fast den gesamten Türrahmen. Er lächelte ihr freundlich zu.
»Meister Akhdar wird dich jetzt empfangen, Jenna. Bitte, hier entlang.«
Lomand lief schon über den Gang, ohne abzuwarten, ob sie ihm folgte.
»Das wurde aber auch Zeit«, murmelte Jenna vor sich hin. Sie hatten sie mehr als einen Tag warten lassen. Es war zwar angenehm gewesen, regelmäßig etwas zu essen zu bekommen, ohne sich über die Bezahlung Sorgen zu machen, aber insgeheim sehnte sich Jenna immer mehr danach, sich auf den Heimweg zu begeben zu dürfen. Jennas Entschluss, nach Thrandor zurückzukehren, war mit jeder Stunde klarer geworden. Jetzt wollte sie eigentlich nur noch aus der Tür treten und losziehen.
Das Gewirr der Gänge hinterließ rasch einen tiefen Eindruck bei Jenna. Nach drei oder vier Abzweigungen wusste sie nicht mehr, wie sie zu ihrem Zimmer zurückfinden könnte. Alle Gänge sahen gleich aus: in der Mitte ein abgetretener dunkelroter Läufer auf hölzernen Dielen, seltsam angeordnete Bilder mit ungewöhnlichen Motiven entlang der Wände und zahllose vollkommen gleich aussehende Türen, die in unregelmäßigen Abständen zu beiden Seiten auftauchten.
Lomand hielt ohne Vorwarnung vor einer dieser identisch wirkenden Türen an. Er klopfte genauso kraftvoll an, wie er es zuvor bei Jenna getan hatte. Von drinnen forderte Lomand
ein leises »Herein« auf, die Tür zu öffnen und Jenna hineinzuführen.
Großmagier Akhdar sah von seinem Schreibtisch auf und lächelte ihr warmherzig zu. Er stand auf und hielt Jenna die Hand zum Gruß hin. Seine Hand mit den langen Fingern fühlte sich warm an, und als Jenna sein freundliches altes Gesicht, das schneeweiße Haar und die funkelnden blauen Augen sah, fühlte sie sich gleich willkommen.
»Guten Tag, Jenna. Schön, dich zu treffen. Entschuldige, dass du so
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