Das Vermächtnis von Thrandor - Die silberne Klinge
einen weiteren Kontakt. Wenn es deinen Aufenthalt hier etwas angenehmer macht, könnte ich dich einem Thrandorier vorstellen, der seit Kurzem an der Akademie studiert. Wie wäre das?«
»Ein Thrandorier, der Magie erlernen will? Stammen hier viele aus Thrandor?«, fragte sie erstaunt darüber, dass sich jemand über das thrandorische Verbot hinwegsetzte und eine so lange Reise auf sich nahm.
»Nein, wirklich nicht! Wir hatten seit Jahren keinen Adepten aus Thrandor. Dieser junge Mann erweist sich jedoch als eine Art Offenbarung. Er ist wahrscheinlich der jüngste Ritter,
den ich je getroffen habe, und sein Talent sorgt bei den Schülern für einiges Aufsehen.«
»Ein Ritter? Ein Ritter des Königs ist hier, um Magie zu studieren? Das ist äußerst verwunderlich für ein Land, in dem Magie seit Langem verboten ist. Wenn das der König herausfindet, wird er sicher nicht erfreut sein.«
»Die Dinge haben sich seit den jüngsten Entwicklungen in Thrandor rasch geändert, glaube ich«, brummte Lomand nachdenklich. »Du könntest natürlich recht haben, aber dieser junge Mann behauptet, er sei der neue Berater des Königs in allen Angelegenheiten der Magie. Ich kann ihn dir beim Abendessen vorstellen, wenn du möchtest.«
Jenna war versucht einzuwilligen. Der Gedanke, sich über Neuigkeiten aus der Heimat auszutauschen, war wirklich verlockend. Aber vielleicht hatte Baron Keevan ja einen Steckbrief von ihr verbreiten lassen? Ein Ritter des Königreichs hatte die Pflicht, das Gesetz des Königs zu vollstrecken. Wenn er in ihr die Deserteurin erkannte, würde er handeln müssen. Gut, sie waren weit weg von daheim. Was konnte er schon machen, in so großer Entfernung zur thrandorischen Grenze? Jenna wusste darauf keine Antwort, aber sie beschloss, es besser nicht herauszufinden.
»Nein«, antwortete sie seufzend. »Vielen Dank, aber ich verzichte auf seine Bekanntschaft. Ich muss über einiges nachdenken. Ich kann noch etwas bleiben, aber ich habe auch dringende Dinge in Thrandor zu erledigen. Nichts für ungut, aber ich möchte heute Abend lieber nicht mit der Aristokratie anbändeln. Kann ich auf meinem Zimmer essen?«
»Natürlich«, erwiderte Lomand achselzuckend. »Wenn du das möchtest. Der junge Mann ist allerdings nicht wirklich aristokratisch. Ich bin sicher, er wäre eine angenehme Gesellschaft, auch wenn er nicht aus demselben Teil Thrandors stammen sollte wie du.«
»Ich glaube auch, es wäre sicher reizend, Lomand. Aber
ich wäre wahrscheinlich zu abgelenkt von den Problemen daheim, als dass man mir dasselbe Kompliment machen könnte. Vielleicht ein andermal.«
»Na schön, Jenna. Ich lasse dir das Essen bringen.«
Lomand schloss die Tür und ging fort. Jenna grübelte darüber nach, was in Thrandor vor sich ging. Der König stellte also einen Berater in Sachen Magie ein – da hätte König Malo lieber auf jemanden wie Calvyn zurückgreifen sollen als auf diesen jungen Ritter. Calvyn kannte sich wenigstens etwas mit magischen Dingen aus. Aber wer wusste schon, wo Calvyn war? Vielleicht hätte der König ihm sogar den Posten verliehen, wenn er nicht als vermisst gelten würde. Und Perdimonn war losgezogen, um etwas furchtbar Wichtiges auf Kaldea zu erledigen – wo auch immer das sein mochte. Und was auch immer Perdimonn dort tat, versetzte den Rat der Mag ier in ziemliche Aufregung, sodass sie genau wissen wollten, was weiter geschah. Was hatte ihn so rasch so weit fortgebracht? Was war von so entscheidender Bedeutung? Jenna hätte wetten können, dass Selkor in die Sache verwickelt war.
Noch während sie an Perdimonn und Calvyn dachte, kam es Jenna seltsamerweise so vor, als höre sie die beiden miteinander reden. Mit einem leisen Kichern ließ sie sich aufs Bett fallen.
»Ich sitze schon zu lange allein in diesem Zimmer«, murmelte sie laut. »Vielleicht sollte ich doch besser mit diesem thrandorischen Ritter zu Abend essen.«
Jenna hatte geglaubt, wenn sie laut sprach, würde sie die wohlbekannten Stimmen aus ihrem Kopf vertreiben, aber die Stimmen hatten die imaginäre Unterhaltung trotzdem fortgesetzt. Dann begriff Jenna. Die Unterhaltung war nicht imaginär. Perdimonn setzte seine Künste der Magie ein, um mit Calvyn zu sprechen, und sie hörte den beiden irgendwie im Geiste zu. Jenna hielt die Luft an, damit ihre Atemgeräusche
nicht übertönten, was die beiden sagten. Sie riss entsetzt die Augen auf, als sie plötzlich verstand, worum es ging.
15
»Wie macht sich der Thrandorier?«,
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