Das Vermächtnis von Thrandor - Die silberne Klinge
Nirgends gab es Hinweise auf mögliche Fluchtwege.
Als Bek und die anderen einige Stunden zuvor durch den Gang getrieben worden waren, hatten sie den breiten Hauptweg nicht verlassen. Sie waren über die steinernen Wendeltreppen zu den Käfigen vor der Arena emporgestiegen. Dieses Mal führte man Bek nicht bis ganz nach oben. Stattdessen hielt die Gruppe auf dem letzten Treppenabsatz an und einer der beiden Wachen löste einen dicken Schlüsselbund von seinem Gürtel. Eine große Eisentür auf der linken Seite des Korridors wurde aufgesperrt und gab den Blick auf eine gerade ansteigende Treppe frei, die in eine andere Richtung führte.
Bek konnte die Menge in der Arena hören, und bald merkte er, dass der Lärm nicht mehr nur über ihm, sondern auch rechts von ihm zu vernehmen war. Sie stiegen also zu den Rängen empor, schloss er daraus. Aber warum? Warum wurde er in den Zuschauerbereich geführt? Plötzlich durchfuhr ihn ein grausiger Gedanke. Vielleicht sollte er ja öffentlich dafür bestraft werden, dass er die beiden Kämpfer getötet hatte. Schließlich war einer der beiden ranggesetzt gewesen und hatte sicher eine Menge Bewunderer gehabt, die seine Kämpfe verfolgten.
Eine weitere Eisentür, dieses Mal auf der rechten Seite, wurde am Ende der Treppe aufgeschlossen. Bek schwappten erneut der überwältigende Lärm und die Atmosphäre der Arena entgegen. Dieses Mal konnte er die Masse der Zuschauer auf sich wirken lassen, denn ihn erwartete kein Kampf auf Leben und Tod – dennoch, seine Lage war mehr als ungewiss. Hinter den Sitzreihen führten Stufen ins Freie, und Bek spürte den beinahe überwältigenden Drang, durch die Menge zu entfliehen.
Einer der edel gekleideten Kämpfer spürte, was Bek vorhatte, und murmelte ihm eine leise Warnung zu. »Denk nicht mal dran. Du hast keine Chance, wenn du jetzt auszubrechen versuchst. Folge uns und hab Geduld. Bald schon wird sich alles klären.«
Bek war überrascht. Zum einen, weil ihm nicht klar gewesen war, dass ihm seine Absichten so leicht anzumerken waren, zum anderen, weil er immer mehr den Eindruck bekam, dass sich die Dinge zum Guten wenden würden. Er hatte zwar keine Ahnung, was genau ihn erwartete, aber die beruhigenden Worte des Mannes ermutigten ihn und sein beschleunigter Herzschlag fand in einen normaleren Rhythmus zurück.
Als sie ins Sonnenlicht hinaustraten, richtete sich Beks Blick instinktiv auf die beiden Kontrahenten, die in der Arena kämpften. Die vor Schweiß glänzenden Männer waren in einen tödlichen Tanz der Klingen verwickelt und ihre Schwerter prallten mit rasantem Tempo und großer Heftigkeit aufeinander. Beide waren gute Kämpfer und bewegten sich geschmeidig und sicher, aber schon beim ersten Hinsehen erkannte Bek, dass der kräftiger gebaute von ihnen den Kampf gewinnen würde. Obwohl er schwerer war als sein Gegner, bewegte er sich selbstsicherer und seine Hiebe schienen mehr Kraft zu haben. Der andere Mann verfügte offenbar nicht über die Schnelligkeit und die Beweglichkeit, die ihm in
dieser Auseinandersetzung einen Vorteil verschafft hätten, und würde sicher schneller ermüden.
Man zog ihn am Arm und Bek lief weiter. Er wurde eine Treppe hinuntergeführt, die zwischen den Sitzbänken zur untersten Zuschauerreihe über dem Sandplatz der Arena führte. Noch bevor sie die unterste Stufe erreicht hatten, erwies sich Beks Einschätzung des Kampfes als richtig und die Menge bejubelte den siegbringenden Schlag. Beide Kämpfer verneigten sich vor der kaiserlichen Loge. Der Verlierer blutete aus einer üblen Stichwunde am rechten Oberarm. Der Kaiser tat mit einem kaum merklichen Nicken seine Anerkennung kund.
Einen Moment lang glaubte Bek schon, seine Begleiter würden ihn zum Kaiser führen, denn sie bewegten sich auf den abgetrennten Sitzbereich zu, der seiner kaiserlichen Majestät vorbehalten war. Ganz kurz blitzte der Gedanke an eine Begnadigung auf, dann zerschlugen sich aber alle seine Hoffnungen, denn die beiden Männer blieben vor einer seltsamen Person stehen, die in ein violettes Gewand mit Goldbordüren gekleidet war.
»Hier ist der Gefangene, den Ihr sehen wolltet, Herr«, meldete einer der Kämpfer und verbeugte sich vor dem in der ersten Sitzreihe thronenden Mann.
»Ach ja! Ein Thrandorier, wie mir zu Gehör gekommen ist, nicht?«, erwiderte er fragend und blinzelte, als er den Kopf hob, um Bek zu mustern.
Bek konnte nicht anders, als den Mann anzustarren, denn sein verwachsener Körper zwang zu mehr als
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