Das Vermächtnis von Thrandor - Die silberne Klinge
Süden der Stadt.
Die Straßen Shandrims waren breit und im Zentrum zumeist gepflastert, mit großzügigen, stets sauber gefegten Wegen für die Fußgänger. Am Rand dieser Straßen erhoben sich die solide gebauten Stadthäuser und Kaufmannsläden mit ihren Sandsteinfassaden und Schieferdächern. Gute Straßen und Wege wurden auch rund um die Arena unterhalten, der größten Kampfstätte in ganz Shandar. So konnte Chorain die ärmeren Viertel der Stadt gänzlich meiden und sein kurzer Ritt gestaltete sich äußerst angenehm.
Wie alle Städte hatte Shandrim seine übleren Seiten und nur sehr mutige oder sehr dumme Menschen begaben sich allein in derartige Bezirke. Zwar patrouillierten Milizen in den ärmeren Stadtteilen, aber selbst sie achteten darauf, sich in ausreichend großen Gruppen zu bewegen. Es hieß, das Verbrechen
sei in der Hand einer bestimmten Organisation, doch deren Existenz hatten die Behörden bisher nicht nachweisen können. Immer wenn Nachforschungen angestellt worden waren, hatten die Befragten entweder vehement abgestritten, von einer kriminellen Vereinigung zu wissen, oder aber sie hatten keinen Pieps von sich gegeben – auch nicht unter Folter.
Chorain vermied sorgfältig, den Blicken der freizügig gekleideten Damen zu erwidern, die auf den Straßen rund um die Arena Ausschau nach Kunden hielten. Einige riefen ihn an und versuchten, ihn auf sich aufmerksam zu machen, aber der Kommandant ließ sich nicht von seinem Ziel abbringen. Er hielt den Blick auf die Straße gesenkt, damit ihn nichts ablenkte. Die lockenden Rufe schlugen rasch in Beschimpfungen um, sobald deutlich wurde, dass er nicht anhalten würde. Chorain musste einige Male lächeln, als er hörte, was man ihm so nachrief, ansonsten aber blieb seine Miene starr.
Es dauerte nicht lange und er hatte die alles überragende Arena erreicht. Sie war mit Abstand das größte Gebäude in Shandrim und hätte den Kaiserpalast wie den eines Zwerges erscheinen lassen, wenn dieser sich in ihrer Nähe befunden hätte. Wieder nutzte Chorain seinen Rang und sein Ansehen als Kommandant einer Legion, um sich sofortigen Zutritt zu verschaffen. Er lief die Stufen zu den Rängen empor, setzte sich und sah zu, wie die Kämpfer unten in der ovalen Arena trainierten.
Bek hatte den Kommandanten kommen sehen und machte Maasich auf ihren Zuschauer aufmerksam. Maasich zählte gerade die Klimmzüge, die Bek an einer hohen Eisenstange ausführte, und sah kurz hoch zur Tribüne.
»Der überlegt wahrscheinlich, auf wen er am nächsten Kampftag setzen soll«, erklärte Maasich unbeeindruckt und zählte weiter: »achtunddreißig, neununddreißig, vierzig.«
Bek ließ sich fallen und zählte nun seinerseits Maasichs
Klimmzüge. Er hatte sich schnell an das Zirkeltraining gewöhnt, das Hammar täglich durchführen ließ. Die Übungen konzentrierten sich hauptsächlich auf die Kraft im Oberkörper und ihr Stehvermögen. Für ihre Ausdauer sorgten die sogenannten »Aufwärmübungen«. Die verschiedenen Kampftechniken wurden erst gelehrt, wenn alles andere abgedeckt war. Eine grausame Routine, aber sie zeigte Erfolg. Bek spürte, dass seine Arme muskulöser geworden waren und er im Schwertkampf mit mehr Kraft agieren konnte.
Hammar war ein hervorragender Ausbilder und trotz seines fortgeschrittenen Alters immer noch ein ausgezeichneter Schwertkämpfer. Aus Gesprächen mit anderen Kämpfern hatte Bek erfahren, dass Hammar einst der hochrangigste Kämpfer Shandrims gewesen war. Er hatte sich auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit aus der Arena zurückgezogen und war trotz zahlreicher Herausforderungen der nachfolgenden Spitzenkämpfer nicht einmal mehr zu einem Schaukampf zurückgekehrt.
Bek hatte angenommen, er wäre allen Schwertkämpfern einigermaßen ebenbürtig … bis er zum ersten Mal mit Hammar trainiert hatte. In Sekundenschnelle war er stark unter Druck geraten, und es war kaum eine Minute vergangen, bis ihn Hammars Klinge an mehreren Stellen leicht berührt hatte – während er selbst nicht die geringste Chance erkannt hatte, dem ehemaligen Schwertmeister einen Streich zu versetzen.
Doch zu Beks Überraschung hatte Respekt in Hammars Augen gelegen, als er den kurzen Übungskampf beendet hatte, und über seine Lippen kam ein bescheidenes Lob.
»Nicht schlecht, Junge. Gar nicht schlecht«, sagte er und klang dabei etwas zweifelnd. »Du bist schnell. Aber da ist mehr drin. Du hast dich zurückgehalten. Eigentlich kannst du es besser, oder? Warum hast du
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