Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne

Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne

Titel: Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorna Sternekieker
Vom Netzwerk:
stoße ich taumelnd einen unscheinbaren Berg weiterer Akten um und lege eine Schicht, mir bekannter, grüner und gelber Ordner frei. Aufgeregt falle ich auf die Knie und zerfleddere unachtsam jede einzelne Mappe. Schweißtropfen bilden sich auf meiner Stirn und ich vergesse beinahe zu atmen. Bei der fünften Akte muss ich aufschluchzen vor Freude.
Ich. Habe. SIE! Ich halte tatsächlich die verdammten Unterlagen in meinen zitternden Händen, ungläubig und voller Angst, dass alles nur ein Traum sein könnte. Mehrmals durchblättere ich den Inhalt, doch es besteht kein Zweifel. Alles ist da. Der Rohentwurf, die Absprachen, Claims und Bilder springen mir ins Gesicht und tanzen vor meinen tränenverschleierten Augen.
Freudig drücke ich die Errungenschaft fest an meine Brust und wiege so einige Male hin und her, bis ich mich zusammenreiße. Jetzt muss ich schleunigst von hier verschwinden. Wenn ich entdeckt werden würde, während ich vergnügt wie eine Irre vor und zurück wippe, würde ich mir das nie verzeihen. Eilig klettere ich aus dem Container und husche zu den Toiletten. Selbst mein Fall aus dem Klofenster in einen Brennnesselstrauch lässt mich kalt.
Selig schwebe ich barfuß zu meinem Wagen.

Als Paul durch die hellen Flure läuft, befällt ihn ein beklemmendes Gefühl. Schon oft hatte er den Linoleumboden betreten, mehr als einmal die Bilder an den Wänden betrachtet, und trotzdem würde er sich nie an die klinische Umgebung gewöhnen können. Die Ursache hierfür ist schwer zu sagen, es roch nicht übel für ein Krankenhaus. Aus seiner Zivildienstzeit war Paul ganz andere Gerüche gewöhnt. Und dennoch liegt in diesem Gebäude etwas in der Luft, das die meisten davon abhält, freiwillig hierher zu kommen. Es ist die Gewissheit, dass es kranke Menschen gibt. Menschen, die nie wieder geheilt werden und sich damit abfinden müssen. Menschen, auf die nur eines wartet: der Tod.
Das klingt gruselig, entspricht aber leider der Wahrheit. Mit derartigen Sorgen beschäftigt sich niemand gerne, sie halten einem die eigene Vergänglichkeit vor Augen. Mit dieser Einsicht kommt die Angst. Und schlussendlich die Verdrängung. Themen, mit denen man sich nicht beschäftigt, können auch keine Furcht verbreiten. Eigentlich logisch.
Früher, während seines Dienstes in einem Altenheim, hatte Paul das häufig erlebt. Selbst nahe Verwandte konnten diesen Umstand nicht ertragen. Es war regelmäßig der gleiche Ablauf. Ein kurzer Besuch mit viel zu bunten Blumen, dreißig Minuten auf einer Bank im Hof und zum Abschied ein großer Schein für den zuständigen Pfleger. Begleitet von den Worten: "Bitte sorgen Sie dafür, dass er alles bekommt was er möchte", oder: "Sie trinkt so gerne Orangensaft, verstehen Sie?"
So oft hatte Paul dies beobachtet und jedes Mal nur stumm genickt. Was hätte er auch sagen sollen. Dass "sie" viel lieber ein Buch vorgelesen bekommt, als Orangensaft zu trinken? Oder dass "alles was er will" ab und zu ein wenig Gesellschaft ist? Hier ein Kartenspiel, da ein kurzer Plausch, Einsamkeit ist das Schlimmste und die Vorstellung, in Vergessenheit zu geraten, macht den stärksten Menschen weich.
Paul hat vor langer Zeit aufgehört, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Glücklicherweise, denn sonst wäre er womöglich verrückt geworden. Er hat gelernt zu akzeptieren, dass es für manche Menschen nicht möglich ist, mehr zu geben und dass der Grund dafür keinesfalls das Fehlen von Liebe ist, sondern die nackte Angst. Angst davor, zu erkennen, dass ein geliebter Mensch bald für immer gehen wird. Angst davor, nicht genug geben zu können, " man hat ja noch eine Familie zu Hause und Opa schaut jedes Mal so traurig, wenn man wieder geht ." Angst vor dem Blick in den Spiegel, " aber man kann sich doch nicht komplett aufopfern, oder? Man hat doch auch nur ein Leben." Und letztlich die ureigene Angst, selbst einmal so zu enden. Die meisten Befürchtungen verstand Paul, ohne dass sie ausgesprochen wurden. Und um das Gewissen der Angehörigen zu beruhigen, nahm er meist den Schein und behielt seine Meinung für sich. Das Geld wurde gesammelt und von dem Betrag regelmäßig gemeinsame Heimabende mit Film oder Tanz für die Bewohner organisiert. So hatten alle etwas davon.
Aber das war damals und heute ist Paul kein außenstehender Beobachter mehr. Bevor er die Kinderstation betritt, zwingt er sich zu einem Lächeln. Ein trauriges Gesicht hilft hier niemandem. Mit staksigen Schritten folgt er dem lauten Gemurmel und

Weitere Kostenlose Bücher