Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne
Gefühlsausbruch dergleichen überfällt mich. Wie gelähmt schaue ich hinüber und kann es auch jetzt noch nicht glauben.
Da liegt sie, grün und gewöhnlich, eine einfache Mappe eben. Zaghaft nehme ich sie in die Hand, so behutsam als wäre sie aus Glas. Doch statt grenzenloser Euphorie verspüre ich nur eines: Angst.
Angst, dass ich mich geirrt oder in etwas verrannt haben könnte. Ich fürchte mich davor die Seiten aufzuschlagen und auf einmal zu erkennen, dass es sich nur um den Putzplan des nächsten Jahres handelt. Dass ich versehentlich die falsche Mappe erwischt habe oder die Entwürfe veraltet und wertlos sind. Einfach, dass dieser wunderschöne Traum vorbei ist, ehe er angefangen hat. Mit diesem Berg an Zweifeln stiere ich seit Minuten regungslos auf die staubfreie Ablage, als ständen dort sämtliche Weisheiten des Universums geschrieben.
Das muss aufhören. Sofort! Bevor ich mich in weiteren Horrorszenarien verlieren kann, gebe ich mir einen Ruck und schlage die Unterlagen auf. Mit klopfendem Herzen überfliege ich die erste Seite, auf der es überdeutlich steht "Luckylife-Projekt 2013" . Darunter befinden sich die ersten Skizzen und Entwürfe. Die nächsten Blätter sind gefüllt mit Claims, Bildgeschichten und Zahlen, die später die Grundlage für das Angebot darstellen werden. Einige der Vorschläge sind richtig gut, das muss man unserer Kreativabteilung lassen.
Ich atme auf. Es ist also wahr und kein Traum, auf den ein böses Erwachen folgt. Ich könnte heulen! Heulen vor Freude, vor Erleichterung, vor …
Ein lautes Klopfen lässt mich hochschrecken. An meinem Fenster steht Luise Holzapfel und schaut mich besorgt an.
"Charlotte? Ist alles okay mit dir?", fragt sie mich zwischen zwei Zigarettenzügen.
Erschrocken stopfe ich die Akte in meine Tasche. Was muss die blöde Pute ausgerechnet hier hinten herumschnüffeln? Ob sie etwas gesehen hat? Die Konsequenzen möchte ich mir lieber nicht ausmalen! Was für ein Bild würde das abgeben, wenn ich bei einem romantischen Stelldichein mit den derzeit heißesten Firmen-Unterlagen in meinem Wagen erwischt werden würde? Ich wäre wahrscheinlich schneller entlassen, als Luise ihre Ziggi runterziehen kann. Und eines muss man ihr lassen, darin ist sie verdammt schnell.
"Was machst du denn hier?", frage ich unschuldig, um Zeit zu gewinnen.
"Na, meine Pause. Seitdem der Arzt mir mehr Bewegung empfohlen hat, gehe ich jeden Mittag ein kleines Stück. Gesundheit ist enorm wichtig!", spricht das Kraushaar und stößt eine Rauchwolke aus. Ich verkneife mir eine bissige Antwort. Bedeutungsschwanger schaue ich auf den glimmenden Stengel in ihrer Hand, um sie auf die Absurdität ihrer Aussage aufmerksam zu machen. Aber Fehlanzeige, Luise grient mich weiterhin selbstzufrieden an.
"Und du? Ich wollte schon den Notarzt rufen, als ich dich mit diesem merkwürdigen Gesichtsausdruck sah."
Ich stocke. Prüfend blicke ich in ihr unreines Gesicht, aber Luise schaut wie immer. Auf ihre ganz eigene Art, unschuldig-naiv und gleichzeitig unglaublich dumm. Nichts lässt darauf schließen, dass sie etwas gesehen oder sogar Verdacht geschöpft haben könnte. Ich muss lächeln, wie konnte ich nur vergessen, dass es sich hier um Luise Holzkopf, äh, Holzapfel handelt. Unsere Dauerqualmerin würde erst ihre Aufmerksamkeit auf etwas richten, wenn weißer Rauch daraus käme. Ich müsste die Mappe schon anzünden, damit Luise sie bemerkt.
"Bei mir ist alles in Ordnung, Luise, ich war nur in Gedanken", sage ich, doch so leicht lässt sich Miss Marple nicht abwimmeln. Sie mustert mich weiterhin argwöhnisch.
"Sicher? In letzter Zeit verhältst du dich noch merkwürdiger als sonst. Charlotte, wenn du Probleme hast …"
Sie lässt den Satz unvollendet und ich schnappe nach Luft. Noch ein Wort aus ihrem Mund und wir sollten vielleicht doch den Arzt rufen, aber nicht für mich.
"Wie gesagt, alles bestens!", sage ich barsch und marschiere davon.
Merkwürdiger als sonst, die spinnt wohl! Das muss ich mir bestimmt nicht von einer Person sagen lassen, die der Meinung ist, zwanzig Zigarettenpausen täglich würden ein Fitnessstudio ersetzen. Dieser Vorfall bestärkt mich noch mehr in meinem Willen, mich von den Unterschichtsamöben abzusetzen.
Während ich durch die Wasserlandschaft unseres Foyers eile, überlege ich mein weiteres Vorgehen. Zum ersten Mal habe ich keinen Blick für die moderne Einrichtung und auch das Fahrstuhlsausen löst meine Verspannungen nicht. Aus meiner Tasche dröhnt stummes
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