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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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berichtete, bedurfte es der vereinten Kräfte des Cellerars, dreier Novizen sowie von vier Laienbrüdern, um dich zu überwältigen. Und ein hölzerner Knüppel soll dabei auch noch eine Rolle gespielt haben.«
    Rowan nickte nur. Vor allem Letzterer war seinem Schädel noch in lebhafter Erinnerung.
    »Wer seid Ihr?«
    »Sieh an, sprechen kannst du auch! Die Überraschungen scheinen heute gar kein Ende nehmen zu wollen.«
    Durch die halb geschlossenen Lider blinzelte Rowan gegen das Sonnenlicht. Ganz allmählich konnte er Einzelheiten erkennen. Die nackten Wände des carcer , in den man ihn offenbar gesperrt hatte, während er ohne Bewusstsein gewesen war, die Gitter vor dem hohen Fenster – und die Gestalt, die vor ihm stand.
    Nun, da sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnten, erkannte Rowan deutlich, dass es kein Kleid war, das der Fremde trug, sondern ein Mönchshabit, dazu eine weite Kukulle mit zurückgeschlagener Kapuze. Beides war allerdings nicht in den hellen Farben des Zisterzienserordens gehalten, sondern im düsteren Schwarz der Benediktiner, was Rowan noch mehr verwirrte.
    Der fremde Mönch war von schmaler Postur, jedoch nicht allzu groß, sodass er zumindest in dieser Hinsicht durchaus etwas Feminines an sich hatte; seine Züge waren fein geschnitten und trotz der Falten, die sich darin eingegraben hatten, von einer jugendlichen Neugier, wie Rowan sie noch bei keinem anderen Mönch gesehen hatte. Buschige Brauen wucherten über kleinen, aber äußerst wachen und aufmerksamen Augen, deren Blick so leicht nichts zu entgehen schien. Das Haar des Mannes, dessen Alter Rowan auf über sechzig Winter schätzte, war dünn und grau. Die Tatsache, dass nur noch ein schmaler Kranz davon geblieben war, der sich am Hinterkopf entlang von einem Ohr zum anderen zog, machte eine Tonsur überflüssig.
    »Ich bin Bruder Cuthbert«, stellte sich der Fremde vor, ehe Rowan die Frage wiederholen konnte.
    »Ihr … Ihr seid kein …«
    »Nein«, räumte Cuthbert bereitwillig ein, »ich gehöre zum Orden von Sankt Benedikt. Jedoch hat es meinen eigenen Leuten gefallen, mich zum Botschafter bei unseren Zisterzienserbrüdern zu machen – vielleicht, um das Miteinander der Diener Christi zu fördern, vielleicht auch nur, weil sie meiner überdrüssig waren. Inzwischen haben sie mich wohl längst vergessen – geblieben sind mir jedoch die Kleider, die mich an meine Herkunft erinnern.«
    »W-was?« Rowan griff sich an den schmerzenden Hinterkopf. Er war sich nicht sicher, ob er recht verstanden hatte – zum einen sprach der Benediktiner sehr viel schneller, als es seinem dröhnenden Schädel zuzumuten war. Zum anderen hatte er eine Art, über sich und andere zu sprechen, die für einen Mönch ungewöhnlich war. Ein gewisser Spott war nicht zu überhören, der allerdings nicht beißend oder übelwollend war, sondern von einer Milde, wie sie Rowan lange nicht begegnet war.
    »Kannst du aufstehen?«, erkundigte sich Cuthbert unvermittelt.
    »I-ich denke schon.«
    »Das ist gut. Es würde wohl ziemlich seltsam aussehen, wenn ich meinen Diener tragen müsste.«
    »Euren Diener?«
    »Ganz recht. Du wurdest mir als mein neuer Diener zugeteilt. Und du wirst Ascalon noch heute verlassen.«
    »Natürlich.« Rowan nickte – er hatte nichts anderes erwartet. So ging es schon, seit er die Mönchskutte zum ersten Mal übergezogen hatte, und das war vor vierzehn Jahren gewesen.
    Den Anfang hatten die Ordensbrüder von Melrose gemacht, die ihn seines, wie es hieß, »ungehorsamen und aufrührerischen Geistes« wegen ins Kloster von Tintern versetzt hatten. Von dort hatte man ihn nach Frankreich geschickt, nach Clairvaux, Fontenay und Sénanque. Schließlich war er nach Italien gelangt, bis sich auch der Abt von San Clemente nicht mehr anders zu helfen gewusst und ihn ins Heilige Land geschickt hatte, wohl in der Hoffnung, dass die Verhältnisse dort sein unbeugsames Wesen brechen oder es zumindest ein wenig einschüchtern würden. Vor zwei Jahren war Rowan nach Ascalon gelangt, wo die Zisterzienser eine kleine Niederlassung unterhielten – nun schien erneut die Zeit des Aufbruchs für ihn gekommen.
    »Nur falls du dich das fragen solltest – es hat mich keine allzu große Mühe gekostet, den Prior zu überreden, dich aus seinen Diensten zu entlassen.«
    »Das glaube ich gern.«
    »Er sagte, dass du der störrischste Laienbruder seist, der ihm in seiner langen Zeit in den Diensten des Herrn untergekommen ist. Und dass ich – wie hat er

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