Das verschollene Reich
beauceant hinterher, dem schwarz-weißen Banner, das die Templer in vorderster Reihe in den Kampf zu tragen pflegten. Es war ein prächtiger Anblick, der Gérard de Ridefort mit Stolz und Genugtuung erfüllte.
Der Großmeister des Templerordens hatte es sich nicht nehmen lassen, den Angriff selbst zu führen. An sich hatte seine Aufgabe nur darin bestanden, die vom König entsandten Boten sicher nach Tiberias zu geleiten, um das Friedensangebot Guy de Lusignans an Graf Raymond zu übergeben. Kaum hatte er jedoch von der Streitmacht der Sarazenen erfahren, die sich angeblich bereits am Jordan sammelte und von keinem Geringeren als Saladins Sohn Al-Afdal befehligt wurde, hatte er sofort reagiert und eine kleine, aber schlagkräftige Streitmacht aufgestellt, die den Sarazenen den Zugang ins Königreich verwehren und Guy klarmachen sollte, dass es keines verlogenen Bündnisses mit den Feinden des Reiches bedurfte, um mit einer Schar Ungläubiger fertig zu werden.
De Ridefort dankte seinem Schöpfer dafür, dass er ihm diese Chance hatte zuteil werden, dass er ihn zur rechten Zeit am rechten Ort hatte sein lassen. Anfangs hatte er nicht das geringste Verlangen danach verspürt, die Boten der – so kam es ihm vor – schändlichen Erniedrigung nach Tiberias zu geleiten, und er hatte es letztlich nur um des Friedens und der Einheit willen getan. In diesem Augenblick jedoch, als die eschielle , die geschlossene Schlachtreihe der Templer, durch die Senke stürmte, deren sandiger Grund unter den Hufen der Rosse erzitterte, war er überzeugt, dass es Fügung war, die ihn hierher geführt hatte.
Darüber, dass er die Fußtruppen weit hinter sich gelassen hatte, dass selbst die Reiterei der Johanniter und der königlichen Kämpen hinter den voranstürmenden Templern zurückgefallen war, dachte de Ridefort keinen Augenblick nach. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es etwas geben sollte, das den Mut und die Kampfkraft hatte, sich der entfesselten Gewalt seiner Waffenbrüder entgegenzustellen, geschweige denn sie aufzuhalten – und der Augenschein gab ihm recht. Denn die Reiterei der Muselmanen, auf die sie in der Nähe des Wasserlaufs Cresson gestoßen waren, hatte sich nicht erst zum Kampf gestellt. Feige, wie sie von Natur aus waren, hatten sich die Orientalen, leicht bewaffnete Reiter mit weißen Turbanen, sofort zur Flucht gewandt. Doch de Ridefort war nicht gewillt, sie entkommen zu lassen. Er würde sie abschlachten, jeden Einzelnen von ihnen, und ihre Köpfe an Saladin schicken, als Gruß und als Warnung. Und danach würde er vor den Zauderer Guy de Lusignan treten und ihm sagen, dass sie nicht länger die Nähe des Verräters Raymond zu suchen brauchten, denn der Orden der Templer hätte das Reich im Alleingang vor dem Untergang bewahrt – und mit ihm die gesamte Christenheit.
»Vorwärts! Zum Angriff!«, schrie de Ridefort gegen das Donnertosen, das die stampfenden Hufe entfesselten, und die Distanz zu den Sarazenen, die auf ihren Pferden vorausstürmten und den Templern zu entkommen suchten, verringerte sich.
Dem Wasserlauf folgend, beschrieb die Senke eine Biegung, an deren Ende ein steiniger Hügel aufragte. Spätestens dort, so war de Ridefort überzeugt, würde die Flucht der Ungläubigen ein jähes Ende finden. Dann würden seine Waffenbrüder und er wie eine Naturgewalt über sie kommen und sie zermalmen.
Den Schild halb erhoben, die Lanze in der Armbeuge, preschte der Großmeister des Ordens seinen Mannen voraus, flankiert von seinen besten und tapfersten Rittern. Im nächsten Moment erreichten die Flüchtlinge den Fuß des Hügels. Was nun geschah, erinnerte de Ridefort an eine Meute Ratten, die in einem Loch festsaßen und sich vor dem Ersaufen retten wollten. Die einen versuchten, ihre Tiere den felsigen Hang hinaufzutreiben, andere stiegen ab und ließen ihre Pferde treulos zurück, wieder andere versuchten nach den Seiten zu entkommen – nicht einer von ihnen stellte sich jedoch zum Kampf.
Das also waren Saladins Krieger, vor denen sich selbst der König von Jerusalem fürchtete! Gérard de Ridefort schleuderte ihnen sein Hohnlachen entgegen, während er weiter in vollem Galopp auf das Ende der Senke zuhielt, bereit, den Feind zu zerschmettern und ein neues Kapitel in der Geschichte des Königreichs aufzuschlagen.
Ein Kapitel, das mit Blut geschrieben wurde.
Dem Blut der Templer!
Als de Ridefort die erste Silhouette am Hügelkamm auftauchen sah, dachte er sich noch nichts dabei. Doch aus ihr
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