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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Rowan kaum fassen, was geschehen war. Der Überfall auf das Lager und das Verschwinden Bruder Cuthberts, die nicht enden wollende Nacht, die sie in Furcht und Kälte ausgeharrt hatten, schließlich die Begegnung mit den Templern und ihre unverhoffte Rettung durch den schwarzen Ritter. All das kam ihm so unwirklich vor, dass sich sein Verstand weigerte, damit Schritt zu halten. Doch die leblosen Körper, die jenseits der Felsen lagen, belegten nur zu deutlich, dass diese Dinge tatsächlich geschehen waren – ebenso wie das Blut an der Klinge des schwarzen Ritters, die dieser schärfte, während er ihnen am Feuer gegenübersaß.
    Nie war Rowan einer dunkleren, eindrucksvolleren Erscheinung begegnet. Der einäugige Hüne, dessen Haare grau und dessen Gesicht von Sonne und Wind gegerbt war, schien die Düsternis in Person zu sein. Falten zerfurchten seine hohe Stirn, sein verbliebenes Auge hatte die Farbe von gefrorenem Wasser. Wortlos führte er den Schärfstein über die Klinge, wieder und wieder, als wäre es eine heilige Handlung. Er schien weder Reue noch Triumph über den Tod der vier Männer zu empfinden; Töten schien ein Teil seiner Natur zu sein, so sehr, dass derlei Gefühlsregungen für ihn wohl keine Bedeutung mehr hatten.
    »Habt Dank, Herr«, sagte Rowan zum ungezählten Mal, weil er das beharrliche Schweigen des Schwarzen als Bürde empfand. »Ohne Euch wären meine Begleiterin und ich nicht mehr am Leben.«
    »Nein«, gab der Ritter zu und unterbrach sein Schleifwerk für einen Moment, um die Klinge zu prüfen. »Und dankt mir nicht, denn ich habe es nicht für euch getan.«
    »Wart Ihr zufällig in der Nähe oder …?«
    Der Blick des Hünen ließ Rowan verstummen. Er hatte schon zuvor versucht, dem Ritter, der ihnen weder seinen Namen genannt noch Angaben zu seiner Herkunft gemacht hatte, einige Informationen zu entlocken – bislang ohne nennenswerten Erfolg.
    »Nein«, gestand er jetzt mit tonloser Stimme, wobei seine Aufmerksamkeit noch immer ganz dem Stahl zu gehören schien. »Ich bin den Templern gefolgt, schon die ganze Zeit über.«
    »Die ganze Zeit über? Was heißt das?«
    Das eine Auge des Ritters schaute Rowan prüfend an. »Ich habe sie beobachtet, seit sie das Königreich verließen«, erklärte er. »Sie sind in derselben Karawane gereist wie ihr.«
    »In derselben Karawane wie …?« Rowan verstummte.
    Zwei Dinge wurden ihm in diesem Augenblick bewusst.
    Zum einen, dass der Schwarze sie offenbar schon seit Längerem beobachtet hatte. Zum anderen wurde ihm erneut klar, dass sie sich offenbar mächtige Feinde gemacht hatten und es nie geplant gewesen war, dass sie nach Jerusalem zurückkehrten. Unwillkürlich fragte er sich, ob dies auch das Schicksal des päpstlichen Leibarztes Philippus und seiner Expedition gewesen war.
    »Wisst Ihr, weshalb uns die Tempelritter verfolgt haben?«, erkundigte er sich vorsichtig.
    »Nein, und es ist mir auch gleichgültig«, stellte der Schwarze klar. »Mein Interesse gilt allein den Tempelherren, die sich wie eine Seuche ausbreiten – und die man wie eine Seuche ausrotten muss.«
    »Ihr bekämpft die Templer?«
    »Wo immer ich sie antreffe. Ich hasse sie nicht weniger, als ich die Sarazenen hasse.«
    »Warum?«
    »Weil sie Diener des Bösen sind. Und weil sie mir etwas genommen haben, das mir mehr bedeutete als mein Leben«, erwiderte der andere mit einer Entschlossenheit, die Rowan erschaudern ließ, »dafür lasse ich sie bluten, jeden Einzelnen von ihnen. Ich töte sie und überlasse ihre Leichen dem Verfall, wie es ehrlosen Verbrechern zukommt.«
    »Ihr überlasst Sie dem Verfall?«
    Sofort musste Rowan an den Baum denken, den sie im Grenzland gesehen hatten, an die abgestorbene Zeder, an der die Leichen der fünf Templer gehangen hatten. Hatte Bruder Cuthbert nicht bezweifelt, dass Sarazenen dafür verantwortlich waren? Und hatte er nicht gesagt, dass nur abgrundtiefer Hass dergleichen zustande zu bringen vermochte?
    Rowan wagte es nicht, ihren dunklen Retter danach zu fragen, aber für ihn stand fest, dass er der Urheber des grausigen Monuments gewesen war. Und ein Blick zu Cassandra verriet Rowan, dass sie ebenso dachte.
    »Wenn bei einem Baum der Stamm faulig ist, schneidest du dann nur ein paar Zweige ab, oder fällst du den ganzen Baum?«, fragte der schwarze Ritter leise. »Der Orden der Templer ist bis ins Mark verdorben. Sie mögen glauben, der gerechten Sache zu dienen, in Wahrheit sind sie dem Bösen verfallen. Nicht Frömmigkeit,

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