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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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die mit ihren Speeren noch näher rückten.
    Fürst Ungh-Khan nickte.
    »Der Anführer der Sarazenen ist ein Verräter«, verkündete Kathan. »Sein Name ist Mercadier. Genau wie ich gehörte er einst dem Orden der Tempelritter an, und er ist mein erklärter Feind!«
    Rowan sah Cassandra, dann den Hünen staunend an. Der schwarze Kämpe, der einen solch erbarmungslosen Krieg gegen die Tempelritter führte, war einst einer von ihnen gewesen! Daher also rührte sein Wissen über sie – und wohl auch sein abgrundtiefer Hass …
    »Mercadier wähnt mich in Gefangenschaft. Wenn er erfährt, dass ich frei bin, wird ihn das sehr zornig machen. Das Mädchen … die Frau«, verbesserte er sich mit einem Seitenblick auf Cassandra, »hat recht, wenn sie sagt, dass er ebenso grausam wie unnachgiebig ist, aber er hat auch eine Schwäche: seine Eitelkeit. Dies können wir uns vielleicht zunutze machen.«
    »Wie?«, wollte Ungh-Khan wissen, nachdem Cuthbert übersetzt hatte.
    »Indem ich mich ihm zum Zweikampf stelle und indem wir diesen Kampf über das Schicksal Eures Volkes entscheiden lassen. Bin ich siegreich, so müssen die Sarazenen abziehen. Werde ich von Mercadier bezwungen, so wird Eure Festung zerstört, und Euer Volk endet in der Sklaverei.«
    Bruder Cuthberts Übersetzung war kaum verklungen, als heftiger Protest einsetzte. Nicht nur die Wachen, die die Gefangenen umzingelten, bekundeten ihren Unmut, auch die übrigen Krieger, die Knechte und Burschen, die auf dem Innenhof ihren Dienst versahen und zugehört hatten, machten kein Hehl aus ihrer Empörung. Einige von ihnen wollten mit geballten Fäusten und blanken Klingen auf Kathan losgehen, und einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als würde Fürst Ungh-Khan, dessen Züge wie versteinert waren, keine Anstalten unternehmen, sie daran zu hindern. Dann jedoch hob er beide Arme und gebot ihnen Einhalt. Die Männer gehorchten, und erneut wurde es still auf dem Hof.
    »Dieses Schicksal droht Euch ohnehin«, fuhr Kathan fort, ungeachtet des Aufruhrs, den seine Worte ausgelöst hatten, »denn eure Feinde sind zahlreicher und besser bewaffnet als ihr, und ihr Anführer ist ebenso klug wie verschlagen. Er wird eine Möglichkeit finden, die Mauern dieser Festung zu überwinden, und es wird ein furchtbares Blutvergießen geben.« Er wartete, bis Bruder Cuthbert übersetzt hatte, dann fuhr er fort: »Noch könnt ihr den Kampf abwenden, aber ihr müsst euch rasch entscheiden, ehe …«
    In diesem Moment gaben die Posten am Tor Alarm. Zwei Ochsenkarren, die sich auf der Zugbrücke befanden, wurden rasch hereingeholt, dann hob sich das schwere Gebilde auch schon ratternd in die Höhe.
    Der Feind war angekommen.

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18
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    »Der Mund des Toren wird ihm selbst zum Verderben, und seine Lippen sind seinem Leben ein Fallstrick.«
    Sprüche 18,7
    Garnison von Acre
1. Juli 1187
    Wäre die Zusammenkunft früher und unter anderen Voraussetzungen erfolgt, so wäre sie womöglich ein Ereignis von historischer Bedeutung gewesen. Nun taugte sie allenfalls noch zu einer Randbemerkung in den Annalen des Königreichs, die der Bischof von Tyros verfasste.
    Dass mit Guy de Lusignan, dem König von Jerusalem, und Graf Raymond von Tripolis zwei Männer in offenbar trauter Einheit nebeneinandersaßen, die noch vor Kurzem erbitterte Rivalen gewesen waren, nahm kaum ein Angehöriger des Adelsrates bewusst zur Kenntnis. Zu drängend waren die Probleme, die sich stellten, zu groß die Gefahr, die es vom Königreich abzuwenden galt.
    »Saladin hat fast fünfzigtausend Mann unter Waffen«, erläuterte Raynald de Chatillon, dessen Platz als engster Vertrauter des Königs an dessen rechter Seite war, Raymond gegenüber. Der Graf von Antiochia hatte sich von seinem Sitz erhoben und ließ seinen Blick durch die kreisrunde Halle schweifen, die sich im großen Turm der Festung von Acre befand. Durch die ebenso schmalen wie hohen Fenster war das Meer zu sehen, aus dessen glitzernder Fläche der große Leuchtturm ragte. Der gesamte Reichsadel hatte sich in der Halle versammelt, all jene, die dem König die Treue geschworen und ihren Schwur unlängst erneuert hatten, aber auch viele Noble aus dem Norden, die Raymond von Tripolis verbunden waren. Raynald taxierte sie mit unverhohlener Verachtung.
    »Nachdem Saladins Heer ohne auf Widerstand zu treffen auf christliches Territorium vorstoßen konnte«, fuhr er mit einem Seitenblick auf Graf Raymond fort, »ist es nach Tiberias vorgerückt, das es seit

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