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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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greifen. Glücklicherweise«, fuhr Sibylla nach einer kurzen Pause fort, »durchschaute mein Gemahl Guy de Lusignan seine Pläne, und es gelang ihm, Raymond zu entmachten, indem er durchsetzte, dass mein kleiner Sohn Baldwin noch zu Lebzeiten seines Onkels zum König gekrönt wurde. Mit Guy als seinem Regenten hätte der Knabe dem Reich jene Sicherheit und Ordnung geben können, die es so dringend benötigt – doch der Allmächtige wollte es anders, wie Ihr wisst. Nach einer Regentschaft von nur einem Jahr verstarb mein über alles geliebter Sohn im vergangenen September und ließ den Thron erneut verwaist zurück.«
    »Ihr habt unser Mitgefühl«, versicherte Cuthbert. »Jedoch blieb der Thron nicht lange verwaist …«
    »Das ist wahr. Durch die von meinem Vater geregelte Thronfolge wurde mein Gemahl Guy zum König gekrönt und damit zum Anführer des Adels – doch die Fürsten folgen ihm nicht, wie es ihre Pflicht wäre. Vor allem Raymond, der rasend ist vor Neid und Eifersucht, lässt keine Gelegenheit aus, meinen Gemahl und mich beim Adel in Misskredit zu bringen. Kürzlich ließ er gar verbreiten, ich hätte mein eigenes Kind ermorden lassen, um Guy de Lusignan den Weg zum Thron zu ebnen. Könnt Ihr Euch solche Niedertracht vorstellen?«
    Sibyllas Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, nun lösten sich einige von ihnen und rannen ihr über die Wangen, wobei sie dunkle Spuren auf dem Gesicht hinterließen. Sie wandte sich ab und trat zu einem der verhangenen Fenster. Das durchscheinende Tageslicht tauchte Sibyllas grazilen Körper in unwirklichen Schein und ließ die Goldfäden in ihrem Haar glitzern. Rowan konnte nicht anders, als innerlich für die Königin Partei zu ergreifen, der das Schicksal so übel mitgespielt hatte und die von Feinden umgeben schien.
    »Und das«, fuhr sie mit bebender Stimme fort, nachdem sie sich wieder gefasst hatte, »ist noch nicht alles. Mein Gemahl und ich haben auch Kunde erhalten, dass Raymond mit den Sarazenen sympathisiert und in Kontakt mit ihrem Anführer Saladin steht. Wenn es stimmt, was uns zugetragen wurde, plant der Graf von Tripolis, sich mit den Heiden zu verbünden, um Jerusalem anzugreifen und sich selbst zum König aufzuschwingen – zu einem König von Saladins Gnaden.«
    »Ich bin bestürzt, derlei Dinge aus Eurem Mund zu erfahren, Herrin«, erwiderte Cuthbert, der keine Mühe zu haben schien, stets die richtigen Worte zu finden. »Offen gestanden verstehe ich nur nicht, warum Ihr mich habt rufen lassen. Wie könnte ich Euch in dieser Lage helfen?«
    Sibylla trocknete ihre Tränen mit einem seidenen Tuch, dann schaute sie den alten Mönch herausfordernd an. »Was Jerusalem braucht, Bruder Cuthbert, ist einen ebenso treuen wie mächtigen Verbündeten, der Raymonds Intrigen nicht zu fürchten braucht und stark genug ist, um selbst Saladins Heer zu widerstehen …«
    »Ein kluger Gedanke«, gestand Cuthbert zu. »Ich frage mich allerdings, wer …«
    »… und den wir in Johannes Presbyter zu finden hoffen«, schloss Sibylla ihren Satz – und ließ Rowans neuen Meister erstmals sprachlos zurück.
    Cuthbert stand wie von einem Keulenhieb getroffen, die Farbe wich aus seinem Gesicht.
    »Bitte nicht, Herrin«, presste er hervor.
    Sibylla lächelte. »Ihr habt es also nicht vergessen?«
    »Offenbar ebenso wenig wie Ihr«, stellte Cuthbert fest, »obwohl Ihr damals noch ein Mädchen gewesen seid.«
    »Sagt, Bruder, befindet sich das Pendel noch in Eurem Besitz?«
    »Allerdings.«
    »Und ist es Euch gelungen, sein Geheimnis zu entschlüsseln?«
    »Nein«, erwiderte der Mönch, »dennoch hat es mir in all den Jahren gute Dienste geleistet. Man muss ein Geheimnis nicht immer enträtseln, um an Weisheit zu gewinnen, Herrin.«
    »Wer spricht von Weisheit?«, schnaubte die Königin. »Was ich brauche, ist Unterstützung, andernfalls wird das Reich ins Chaos stürzen, und alles, was mein Vater und seine Vorgänger aufgebaut haben, wird im Ansturm der Sarazenen untergehen. Saladin wartet nur auf eine Gelegenheit, um Jerusalem anzugreifen, und der Adel spielt ihm dabei noch in die Hände. Unsere letzte Hoffnung ist ein christlicher König, der jenseits des Orients und der uns bekannten Welt über ein großes Reich gebietet und ein starkes Heer sein Eigen nennt. Und Ihr, mein guter Cuthbert, sollt ihn für uns finden.«
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Die Stirn in Falten gelegt, rang Cuthbert um Worte, sodass Sibylla das Gefühl zu haben schien, noch etwas

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