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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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und hoben sie scheinbar mühelos vom Boden hoch. In ihrer Not wand und wehrte sie sich, doch ihr Häscher hielt sie unnachgiebig umklammert, lachte nur, als sie begann, mit ihren kleinen Fäusten auf ihn einzuschlagen. Kurzerhand trug er sie hinaus, vorbei an Kathan, der ihr nachblickte, die dunkle Stirn in Falten gelegt.
    Durch einen Vorhang aus dichtem Rauch ging es nach draußen. Sie musste husten, als der Brandgeruch in ihre Lungen biss, Tränen stiegen ihr in die Augen. Flüchtig wischte sie sie beiseite – und ihr bot sich ein Anblick, von dem sie trotz ihrer Jugend wusste, dass sie ihn ihr Leben lang nicht vergessen würde.
    Häuser, die in Flammen standen.
    Leblose Körper auf dem Boden.
    Raben, die kreischend aufflatterten.
    Blut, überall Blut.
    Sie schrie, brüllte ihr namenloses Entsetzen laut hinaus, während sie erneut wie von Sinnen auf den Ritter einschlug. Doch dieser lachte einfach weiter, und während er sie zu seinem Pferd trug, um sie wie eine Last quer über den Sattel zu legen, erheischte sie einen letzten Blick auf die lodernden Überreste von dem, was einst ihr Heim gewesen war. Sie weinte bitterlich, und die schreckliche Szenerie versank hinter einem Schleier aus Tränen.
    Das Grauen jedoch blieb ihr Begleiter, auch dann noch, als sie den Wald längst hinter sich gelassen hatten und nur noch ein Bündel Rauchsäulen am Horizont daran erinnerte, dass es einst eine Siedlung mit dem Namen Forêt gegeben hatte.

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11
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    »Unsere Lande erstrecken sich bis zum jenseitigen Indien, wo der Leib des heiligen Apostels Thomas ruht, dehnen sich gen Sonnenaufgang über die Wüste hinweg und neigen sich südwärts nach dem in Trümmern liegenden Babel und seinem Turm.«
    Brief des Johannes Presbyter, 44 – 48
    Königspalast von Jerusalem
19. Januar 1187
    »Warum zögert Ihr noch immer, Meister Cuthbert? Darf ich Euch das fragen?«
    Seit ihrer Unterredung mit der Königin verspürte Rowan eine zehrende innere Unruhe. Fortwährend ging er in der Kammer auf und ab, ein wandelnder Gegensatz zu dem alten Mönch, der auf einem Stuhl saß, schweigend vor sich hin sinnierte und seinen Platz nur verlassen hatte, um die Morgenmesse zu besuchen sowie die Gebete zur Sext und zur Non zu sprechen.
    Sibylla hatte die beiden Mönche nicht in ihr Quartier im christlichen Viertel zurückkehren lassen, sondern Diener ausgeschickt, die ihr weniges Gepäck aus der Herberge der Zisterzienser geholt und in den Palast gebracht hatten. Hier bewohnten Rowan und sein Meister eine Kammer, die nicht nur doppelt so groß war wie jene in der Herberge, sondern auch über Tisch und Stühle, eine hölzerne Truhe, zwei strohgefüllte Betten sowie Teppiche an Boden und Wänden verfügte. Nie hatte Rowan eine Nacht in größerer Annehmlichkeit zugebracht.
    »Weil, mein junger Freund, es die gewonnenen Erkenntnisse sorgsam abzuwägen gilt«, erwiderte Cuthbert ruhig.
    »Aber Ihr habt doch schon mehrfach mit Cassandra gesprochen, oder nicht? Hat sie Euch nicht von ihren Träumen berichtet? Von den Bildern, die sie vor ihrem geistigen Auge sieht? Von fremden Bergen und Tälern? Von jener Festung, die hoch auf einem Bergrücken thront und über der ein christliches Banner weht?«
    »Das hat sie.« Cuthbert nickte.
    »Und hat sie nicht auch die Landschaft genau beschrieben? Die Richtung der untergehenden Sonne? Pässe und Furten?«
    »Auch das ist wahr – allerdings ist keiner von uns in der Lage zu überprüfen, ob diese Angaben wahr oder nur die Ausgeburt einer lebhaften Vorstellungsgabe sind.«
    Rowan reckte das Kinn vor. »Ihr denkt, dass Cassandra lügt?«
    »Dergleichen steht mir nicht zu«, verneinte Cuthbert. »Aber wir wissen nicht, wer sie ist. Woher kommt sie? Weshalb kann sie sich an nichts erinnern? All das ist sehr rätselhaft.«
    Rowan biss sich auf die Lippen. Der Gedanke, sein Meister könnte schlecht von der jungen Frau denken, gefiel ihm nicht, und er hatte das Gefühl, etwas zu ihren Gunsten sagen zu müssen. »Aber es könnte doch sein, dass sie deshalb davon träumt, weil sie das Reich des Priesterkönigs mit eigenen Augen gesehen hat«, wandte er daher ein.
    »Vielleicht«, stimmte sein Meister zu. »Oder sie sehnt sich einfach nach einem solchen Ort und träumt deshalb davon.«
    »Und? Was ist falsch daran? Heißt es nicht, dass der Herr bisweilen in unseren Träumen zu uns spricht? Ist er nicht den Sterndeutern erschienen und hat sie gewarnt, zu König Herodes zurückzukehren?«
    Cuthbert lächelte. »Es freut

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