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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Mercadier, der hünenhafte Kathan und der leichenblasse Gaumardas keine Raubtiere waren, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, barg keinen Trost. Im Gegenteil, nie zuvor hatte sie Menschen derart schreckliche Dinge tun sehen.
    Und diese Männer ritten zudem unter dem Zeichen des Kreuzes!
    Durch Pater Edwin hatte das Mädchen das Kreuz als etwas kennengelernt, von dem Heil und Barmherzigkeit ausgingen und das Trost und Licht zu spenden vermochte. Nun war es ihr zum Inbegriff des Schreckens geworden. Die drei fremden Ritter hatten ihre Welt und ihren Glauben zerstört.
    In Starre gefangen und noch immer unfähig zu sprechen, beobachtete sie jeden Schritt, den ihre Entführer taten. Sie hörte, was die Männer redeten, aber sie verstand kaum etwas davon. Weder wusste sie, wer die Ritter waren, noch bekam sie eine Antwort auf die bange Frage, was sie mit ihr vorhatten. Nur eines wurde für das Mädchen mehr und mehr zur Gewissheit: dass die drei Fremden lange nach ihr gesucht hatten und ihretwegen in das Dorf gekommen waren.
    Ich trage Schuld an allem, was geschehen ist.
    Ich allein.
    »Was starrst du mich an?«, rief Gaumardas, der auf der anderen Seite des Feuers saß. Sie hörte ihn, aber sie war nicht in der Lage, auf seine Worte zu reagieren, also hielt sie den Blick ihrer dunklen Augen weiter auf ihn gerichtet.
    »Seht ihr das auch?«, keifte der Rotschopf mit den beiden Mündern. »Seht ihr das?«
    »Was sollen wir sehen?« Mercadier, der neben ihm hockte und an einem Stück Pökelfleisch nagte, blickte unwillig auf.
    »Wie sie mich anstarrt«, erwiderte der andere mit bebender Stimme. »So als wüsste sie alles.«
    »Alles? Was meinst du?«
    »Über unseren Auftrag. Über unsere Vergangenheit. Darüber, wie wir hierher gelangt sind. Und über mich …« Feindselig starrte Gaumardas zu dem Mädchen hinüber. Der Widerschein der Flammen ließ seine blutunterlaufenen Augen leuchten. »Hör auf damit«, fuhr er es an. »Hör auf, mich auf diese Weise anzustarren, oder ich werde dich …«
    »Zügle dein Temperament, Bruder«, ermahnte ihn Mercadier. »Unser Auftrag lautet, die Gefangene lebend nach Metz zu bringen, und genau das werden wir tun.«
    »Aber merkst du denn nicht, wie sie uns ansieht? Das elende Balg weiß genau, warum wir hier sind. Fast habe ich das Gefühl …«
    »Was?«, hakte Mercadier nach.
    »… als ob sie unsere Gedanken lesen könnte«, entgegnete Gaumardas mit einer Stimme, die schaudern ließ. »Sie ist eine Hexe, Bruder. Sie kann geradewegs in unser Inneres sehen!«
    »Du redest Unsinn, Gaumardas.« Kathan war ans Feuer getreten. Auch er hatte den Umhang eng um die Schultern geschlungen, um sich vor der eisigen Kälte der hereinbrechenden Nacht zu schützen. »Das hier ist nur ein Kind, verstanden? Ein kleines Mädchen.«
    »Nur ein Kind?« Erneut spähte Gaumardas zu ihr hinüber. »Sieh dir diese Augen an. Das sind nicht die Augen eines Kindes, Kathan. Diese Augen sind kalt und ohne Leben!« Er schlug die Hände vors Gesicht, als müsste er sich vor ihren Blicken abschirmen, während er unverständliche Worte vor sich hin murmelte. Die anderen beiden sahen sich besorgt an.
    »Nimm dich zusammen, Bruder«, riet Mercadier, der seine Mahlzeit beendet hatte.
    »Mich zusammennehmen?« Gaumardas ließ die Hände wieder sinken. Sein Blick war gehetzt, Schweißperlen standen ihm trotz der Kälte auf der Stirn. »Es ist, als würde dieses verdammte Balg mir Bilder in den Kopf setzen. Bilder, die ich nicht sehen will. Und Dunkelheit …«
    »Ruhig, Gaumardas«, suchte Mercadier ihn zu beschwichtigen. »Die Vergangenheit hat keine Macht mehr über uns, hörst du?«
    »Ich höre dich«, versicherte der Rote, »aber du hörst mich nicht, Bruder. Verstehst du nicht, was ich sage? Ich höre die Schreie. Ich rieche Blut und brennendes Fleisch … Der äußere Schein trügt! Dieses Balg ist voller Verderbtheit und Sünde! Wir sollten es töten, so wie alle anderen. Nur dann werden wir Frieden und Ruhe finden!«
    Wieder wechselten Mercadier und Kathan einen Blick. Der hünenhafte Ritter schüttelte resignierend den Kopf. Dann trat er aus dem Lichtkreis der Flammen und verschwand in der Dunkelheit. Als er kurz darauf zurückkehrte, hatte er die Satteldecke seines destriers unter dem Arm. Er trat zu der Gefangenen, bückte sich und legte sie ihr um die Schultern.
    »Was tust du?«, schnappte Gaumardas.
    »Das Kind ist der Schlüssel zu unserer Rückkehr. Unser Auftrag lautet, es wohlbehalten nach Metz zu

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