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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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bringen, und das werden wir tun.«
    »Ich verstehe«, zischte der Rote. »Sie hat dich bereits verhext mit ihrem Blick, mit ihrem unschuldigen Äußeren.«
    »Unsinn.«
    »Seht ihr es nicht?«, schrie Gaumardas in die Stille der Nacht. »Sie hat unseren Tod in den Augen! Sie ist eine Hexe! Ihretwegen mussten alle sterben! Und es werden noch mehr werden, immer mehr.«
    Die knochige Rechte erhoben, deutete er auf das Mädchen, das reglos am Feuer saß und in die Flammen starrte, und zum ersten Mal verstand sie, wovon die fremden Ritter sprachen.
    Ich trage Schuld an allem.

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13
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    »Zweiundsiebzig Provinzen, von denen nur wenige den Christen gehören, sind uns dienstbar. Eine jede von ihnen hat ihren eigenen König, jedoch sind sie uns alle zum Tribut verpflichtet.«
    Brief des Johannes Presbyter, 48 – 50
    Königspalast von Jerusalem
19. Januar 1187
    Rowan hatte seine Verblüffung noch immer nicht überwunden.
    Was, in aller Welt, hatte die Schwester der Königin bei ihnen zu suchen, noch dazu ganz allein und ohne Begleitung?
    Wenn es etwas gab, das Rowan bei den Zisterziensermönchen gelernt hatte, dann war es, aufmerksam zu beobachten. Nicht nur, weil ihm die meist eintönigen Tätigkeiten, die man ihm auferlegt hatte, eine Menge Gelegenheit dazu gaben, sondern auch, weil er festgestellt hatte, dass es einem manchen Vorteil verschaffen konnte.
    Was Prinzessin Isabela betraf, so vermutete er, dass sie und Königin Sibylla allenfalls Halbschwestern sein konnten, und zwar denselben Vater, aber verschiedene Mütter hatten – die prägnanten Unterschiede nicht nur im Aussehen, sondern auch in Größe und Körperhaltung wiesen darauf hin. Während Sibylla schlank und groß gewachsen war, war Isabela von kleinerer, fast gedrungener Postur. Die Vorliebe ihrer königlichen Schwester für Prunk und Geschmeide schien Isabela allerdings zu teilen, ebenso wie deren eiserne Entschlossenheit.
    »Was verschafft mir die Ehre Eures Besuchs, Prinzessin?«, fragte Cuthbert, der sich von seinem Stuhl erhoben und verbeugt hatte.
    »Die Wahrheit, Bruder«, entgegnete Isabela und gebrauchte damit – ob bewusst oder unbewusst – jenes Wort, das Rowan schon wiederholt aus dem Mund des Benediktiners gehört hatte. Nach Rowans Erfahrung war das Ideal der veritas , der wahrhaftigen Lebensweise vor dem Herrn, für viele Ordensbrüder nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Bruder Cuthbert hingegen schien sehr daran gelegen zu sein.
    »Die Wahrheit«, entgegnete der alte Mönch, »ist selten geworden in diesen Tagen.«
    »Ich weiß, Bruder«, versicherte Isabela, »deshalb bin ich zu Euch gekommen. Ich will, dass Ihr einige Dinge erfahrt. Dinge über meine geliebte Schwester, die sie wahrscheinlich vergessen hat zu erwähnen.«
    Rowan horchte auf. Die Ironie in den Worten der Prinzessin war ihm nicht entgangen. Ganz offenbar waren sie und ihre Schwester nicht nur dem Aussehen nach verschieden.
    Was sein Meister dachte, war nicht festzustellen, die buschigen Brauen über den kleinen Augen regten sich nicht. »Verzeiht, Herrin«, sagte Cuthbert, »aber seid Ihr sicher, dass Ihr mir derlei Dinge offenbaren wollt? Ich weiß nicht, ob …«
    »Ihr habt Sibylla zugehört, nun hört auch mich an«, unterbrach sie ihn mit eben jener Entschlossenheit, die Rowan schon bei ihrem Eintreten erkannt zu haben glaubte.
    Cuthbert seufzte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Darf mein Adlatus dem Gespräch beiwohnen?«, erkundigte er sich vorsichtig. »Ich bürge für seine Verschwiegenheit.«
    Sie streifte Rowan mit einem Seitenblick, dann nickte sie flüchtig. »Hat Sibylla Euch berichtet, wie sie an die Krone gelangte?«, fragte sie dann unvermittelt.
    Cuthbert überlegte kurz. »Nun«, erwiderte er dann, »sie sagte, dass sie nach dem Tod ihres Sohnes Baldwin dem Gesetz der Thronfolge gemäß Königin wurde und dass mit ihr auch ihr Gemahl Guy de Lusignan die Herrschaft erlangte. Allerdings ließ sie auch durchblicken, dass es im Adel Widerstand gebe …«
    Isabela schnaubte. Ein gequältes Lächeln verzerrte für einen Moment ihre mädchenhaften Züge. »Es sieht meiner geliebten Schwester ähnlich, dass sie stets nur den Teil der Wahrheit wiedergibt, der ihren Zielen nützlich ist. Wäre es anders, hätte sie berichtet, dass die Krone nach dem Willen unseres Vaters Amalric an uns beide hätte übergehen sollen, sofern es keinen männlichen Erben mehr gibt. Über dieses Gebot setzte sich Sibylla jedoch hinweg, indem sie ihren Gatten Guy de

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