Das verschollene Reich
Lusignan und dessen geistigen Bruder Raynald de Chatillon, den ruchlosen Grafen von Antiochia, an die Macht brachte. Und zwar noch ehe Graf Raymond von Tripolis, der zu diesem Zeitpunkt rechtmäßiger Regent des Reiches war, Beratungen bezüglich der Nachfolge anstrengen konnte.«
Rowan nickte kaum merklich. Er erinnerte sich, dass auch Sibylla den Herrn von Tripolis erwähnt hatte – nur war ihrer Schilderung nach er es gewesen, der die Krone unrechtmäßig an sich hatte bringen wollen.
»Der größte Teil des Adels empörte sich über dieses Vorgehen«, fuhr Isabela fort. »Zwar war man bereit, Sibyllas Herrschaftsanspruch zu unterstützen, jedoch wollte kaum jemand Guy de Lusignan zum Adelsführer haben, der erst seit wenigen Jahren im Heiligen Land weilt, während Graf Raymonds Familie auf Raymond von Toulouse zurückzuführen ist, der einst mit den ersten Streitern Christi ins Land kam und Jerusalem den Heiden entrissen hat. Raymond genießt großen Rückhalt unter den Adelshäusern.«
»Ich kenne Graf Raymond«, entgegnete Cuthbert zu Rowans Überraschung. »Er ist nicht nur Herr von Tripolis, sondern auch von Galiläa. Vor einigen Jahren unternahm ich eine ausgedehnte Reise zu den Wirkungsstätten unseres Herrn und weilte eine Zeit lang in Graf Raymonds Festung Tiberias am Ufer des Sees von Galiläa.«
»Dann wisst Ihr auch, dass Raymond andere Ziele verfolgt. Er sucht nach Wegen, sich mit den Muselmanen auszutauschen und in Frieden mit ihnen zu leben – anders als Guy und Raynald und die Tempelherren, mit denen sie im Bunde stehen.«
»Ich bin nur ein einfacher Mönch, Prinzessin, und verstehe nicht viel von derlei Dingen«, meinte Cuthbert bescheiden.Rowan kannte seinen Meister inzwischen allerdings gut genug, um zu vermuten, dass der alte Fuchs ziemlich genau wusste, wovon Isabela sprach, jedoch kein Verlangen danach verspürte, zwischen die Fronten von Amalrics Töchtern zu geraten. »Aber sagt mir, wie konnte es Eurer Schwester gelingen, ihren Gemahl Guy zum König krönen zu lassen? Wenn der Widerstand des Adels so groß ist, wie Ihr sagt …«
»Das will ich Euch verraten! Der Adel stimmte Sibyllas Krönung unter der Bedingung zu, dass sie sich von Guy de Lusignan scheiden ließe. Sibylla wiederum ging auf diese Bedingung ein, indem sie sich ihrerseits ausbedingte, ihren neuen Ehemann selbst aussuchen zu dürfen, wenn sie erst zur Königin von Jerusalem gekrönt wäre. Der Adel ließ sich in gutem Glauben auf diesen Handel ein. Sibylla wurde Königin – und wählte unter Berufung auf die getroffene Abmachung keinen anderen als Guy de Lusignan zu ihrem neuen Ehemann.«
»Ich verstehe.« Cuthbert nickte. »Das also ist die List, die Eure Schwester angedeutet hatte.«
»Und das hat sich der Adel gefallen lassen?«, fragte Rowan einigermaßen fassungslos.
Isabela schaute ihn an. Ihr Gesichtsausdruck war dabei derselbe, mit dem man einen Wurm im Apfel entdeckt. »Der Adel«, erklärte sie dennoch, wobei sie sich wieder Cuthbert zuwandte, »hatte keine andere Wahl, als sich zu fügen, wollte er nicht die Konfrontation mit Raynald de Chatillon und den mächtigen Templern riskieren. Jene Edlen, deren Familien schon lange in Palästina weilen, haben geholfen, dieses Königreich aufzubauen – entsprechend viel haben sie zu verlieren. Ihnen ist daran gelegen, mit ihren Nachbarn, seien es Christen oder Sarazenen, in Frieden zu leben. Guy und die Seinen hingegen sind Kriegstreiber, denen nur an der Mehrung von Reichtum und Macht gelegen ist. Und meine geliebte Schwester Sibylla gehört zu ihnen.«
»Das alles verstehe ich, und ich danke Euch für Eure Offenheit, Prinzessin«, erwiderte Cuthbert, »nur frage ich mich, warum Ihr dies tut.«
»Um Euch die Augen zu öffnen und Euch an der ganzen Wahrheit teilhaben zu lassen. Ich weiß, Bruder Cuthbert, weshalb Sibylla Euch an ihren Hof rufen ließ, und ich weiß auch, worum sie Euch gebeten hat. Im Namen Gottes und im Interesse all jener, die diesem Land Frieden schenken wollen, ersuche ich Euch jedoch, dem Wunsch der Königin nicht zu entsprechen. Wäre Eure Suche nach dem Reich Johannis von Erfolg gekrönt, so würde Sibylla alles daransetzen, ein Bündnis mit dem Priesterkönig zu schmieden. Ihre Macht und die ihres Gatten würden dadurch gefestigt. Raymond und allen, die jetzt noch zu ihm halten, bliebe nichts übrig, als sich ihnen zu unterwerfen. Es liegt in Eurer Hand, dies zu verhindern, Bruder Cuthbert.«
»Ich fürchte, Ihr erweist mir zu viel
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