Das Verschwiegene: Roman (German Edition)
(Siris Worte) und das eine oder andere zu besorgen, vor allem aber auch, damit sie beide Geburtstagsgeschenke für Jenny kaufen konnten. Als Alma die Parfümflasche schon in der Hand hielt, schlug Siri vor, stattdessen vielleicht ein Tuch zu kaufen, mit dem Jenny ihre Füße bedecken konnte. Oma fror schließlich ganz oft an den Füßen. Aber Alma schüttelte den Kopf, bat darum, dass die Parfümflasche hübsch eingepackt wurde, schaute ihre Mutter an und sagte: »Fick dich, Mama!«
Siri packte Alma am Arm und sagte, so ruhig sie konnte: »Sprich nicht so mit mir, bitte. Das will ich nicht noch einmal von dir hören. Nie mehr, okay?«
Alma lächelte und sagte: »Fick dich, Mama!«
Und dann kam der große Tag, der überhaupt kein großer Tag war, sondern eher ein kleiner (Jenny hatte mittlerweile das Gefühl, dass die Tage lang wie Jahre waren und die Jahre dahinsausten wie Tage), und an diesem Tag wurde Jenny siebenundsiebzig, und Alma hatte sich herausgeputzt. Sie hatte sich für ein eng anliegendes blaues Kleid entschieden, dicke schwarze Strümpfe und hochhackige schwarze Stiefeletten.
Nicht sehr sommerlich, der Aufzug, aber Jon nahm sich zusammen und sagte: »Wie hübsch du bist, Alma. Es ist eine gute Idee von dir, dich für Oma schön zu machen. Sie war eine elegante Frau. Sie hatte Stil. Denk nur an all ihre schönen Kleider und Schuhe. Und du erweist ihr die Ehre, indem du dich hübsch anziehst.«
Alma schlang die Arme um seinen Hals und ließ ihn nicht mehr los. Immer wieder erlebte Jon bei seiner ältesten Tochter diese festen, fordernden Umarmungen, und er wusste nie so recht, wie er damit umgehen sollte. Er wollte sie nicht genauso fest drücken, das wäre zu heftig, darum tätschelte er ihr zumeist etwas abweisend den Rücken. So war auch immer er derjenige, der sich zuerst aus der Umarmung löste.
Doch diesmal riss sie sich plötzlich los, starrte ihn an und sagte: »Warum redest du über Oma in der Vergangenheit? Sie war eine elegante Frau. Sie hatte Stil. Sie ist nicht tot. Sie ist noch nicht tot. Du und Mama, ihr redet über sie, als wäre sie schon tot. Das ist total daneben! Bestimmt wartet ihr nur darauf, dass sie endlich stirbt!«
Jon holte tief Luft und blickte zu Siri, die einen Picknickkorb mit Kuchen, Kerzen und einer Thermoskanne Kaffee bestückte und den anderen mit Croissants, Scones, Brötchen, Marmelade und Honig. Sie war in dem kleinen Zimmer über dem Restaurant früh aufgestanden und barfuß und im Nachthemd nach unten gegangen, in die große Küche, hatte das Radio eingeschaltet und sich eine Tasse Kaffee gekocht, bevor sie mit dem Backen begann. Die Küche war für viel Lärm und große Gesten gemacht, für strenge Kommandos, für heiße Gasherde, extremes Tempo und größte Präzision. Pepper und seine Leute kamen erst am Nachmittag, und die Küche war groß und kalt und fremd, die glänzenden Flächen, der rostfreie Stahl. Siri nahm ein Fleckchen auf einer der Arbeitsplatten in Beschlag und machte sich an den Brötchenteig. Es war zwar Siris Küche, sie hatte die Küche geplant, entworfen und den Bau überwacht, aber das schien jetzt sehr lange her. Sie wünschte sich, irgendwo dazuzugehören. Dennoch sehnte sie sich zurück nach der leeren Küche und der Stille, als Alma auf Jon losging, weil er über Jenny in der Vergangenheit gesprochen hatte. Siri schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab.
»So habe ich es nicht gemeint, Alma«, sagte Jon. »Ich wollte dir ein Kompliment machen. Das ist ganz falsch rübergekommen.«
Liv sah vom einen zum anderen. Sie trug einen alten Pullover von Alma, er war hellblau, zerschlissen und ging ihr bis über den Po. Sie trug ihn als Kleid. Ihre Knie waren voller Sommerschürfwunden. Liv hatte gerade Radfahren gelernt. Ihre hellen Haare waren zerzaust. Sie war dünn wie der Regen. Sie seufzte, sah die Eltern scharf an, machte eine entschiedene Handbewegung und sagte: »Alle sind hübsch. Und niemand ist tot. Können wir jetzt gehen?«
Jon und die Kinder waren von Oslo mit dem Auto gekommen. Siri hatte am Vorabend den Zug genommen und in dem kleinen Zimmer über dem Gloucester MA übernachtet, um sich dem Backen widmen zu können. Sie hatte vor, den Geburtstag der Mutter im Garten von Mailund zu feiern. Das sei in Ordnung, sagte Irma, aber dann müsse die Feier um zwei Uhr beginnen und dürfe höchstens bis um drei gehen. Siri hatte keine Lust, mit der verrückten Hünin um jede Kleinigkeit zu kämpfen. Man musste seine Schlachten mit
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