Das Verschwiegene: Roman (German Edition)
zurechtgezogen, und dann war er auf den Dachboden gegangen und hatte Notizbücher aufgeräumt, in denen er nicht viel notiert hatte, anschließend ging er die CD -Sammlung durch, die ihm gehörte, und die Plattensammlung, die Jenny gehört haben musste oder vielleicht auch Bo Anders Wallin, und dann blieb er stehen und sah aus dem Fenster, auf die Wiese, die ganz weiß war von dem vielen Schnee. Er erinnerte sich, dass er hier gestanden und Alma und Liv und Mille zugesehen hatte, und wie Alma einen wilden Tanz aufgeführt hatte, als wüsste sie, dass er dort stand und sie beobachtete.
Sie hatten ihr gesagt, dass sie nichts hätte ändern können. Was Mille zugestoßen war, hatte nichts damit zu tun gehabt, dass Jenny sie nicht mitgenommen hatte. Da gab es keinen Zusammenhang. Es waren nur wenige Meter bis zum Haus. Natürlich konnte Mille das Stück alleine gehen. Alma dürfe sich niemals, niemals, niemals Vorwürfe machen, sagten sie.
Alma hatte sie beide lange angeschaut, dann hatte sie gesagt, es stimme nicht, was sie sagten.
»Ihr lügt ja!«
Jon drehte sich um. Ihm fiel etwas auf. Es war der Staubsauger unten im Gang. Er brummte nicht mehr.
»Jon«, rief Siri leise, »wir haben Besuch bekommen.«
Langsam ging er die Treppe hinunter. Er zählte jede Stufe, und dieses Mal hoffte er vielleicht, die Treppe würde ihn verschlucken. Siri drehte sich um. Liv und Alma standen neben ihr. Auch sie drehten sich um. Liv hatte den Unsichtbarkeitsmantel übergezogen, den sie einmal von Siri bekommen hatte und den Siri von ihrem Vater erhalten hatte. Liv legte einen Finger auf den Mund, sah Jon an und machte psst . Ein Mann und eine Frau standen bei ihnen. Es waren Fremde, aber Jon wusste, wer sie waren. Siri brauchte sie nicht vorzustellen, sie tat es trotzdem.
»Das sind Milles Mutter und Vater«, sagte sie. »Das hier ist Mikkel, und das ist Amanda.«
»Guten Tag«, sagte Jon.
»Guten Tag«, sagte die Frau, die eine große braune Ledertasche über der Schulter trug.
Jon schaute Amanda an und überlegte, ob er sie nach den SMS fragen sollte. Ob sie nicht der Meinung sei, es sei jetzt genug, er überlegte, sie zu fragen, was sie hier machten, in der Diele von Mailund mit seiner Frau, seinen Kindern, was ihnen einfalle, einfach so vorbeizukommen? Es war ein Überfall. Es fühlte sich an wie ein Überfall. Er sah Alma an. Sie sah zu Boden. Er betrachtete Siri und Liv in dem Unsichtbarkeitsmantel und Mikkel und Amanda. Er dachte an Leopold, der vorm Kamin lag und schlief. Nächste Woche wollte Siri mit ihm zum Tierarzt gehen, um ihn einschläfern zu lassen. Warum waren Amanda und Mikkel nicht bei sich zu Hause? Warum waren sie hier? Es würde keinen Unterschied machen: das Erinnerungsbuch, das er in jener Nacht aus dem Nebengebäude entwendet, gelesen, zerrissen und in den Teich geworfen hatte. Das Foto, das er von ihr gemacht hatte, das ihr so gut gefallen hatte, sie hatte schließlich keine Bilder von sich als Erwachsene. Jenny und Alma, die an ihr vorbeigefahren waren dort am Straßenrand. Nichts davon war KB . KB war der Schuldige. Ein Junge, der KB hieß. Jon sah die große Schnecke unter Milles Decke vor sich. Er betrachtete Amanda und hätte am liebsten geschrien, er wusste nicht genau, was, aber er hätte gern geschrien, dass sie und ihr Mann jetzt gehen und sie in Ruhe lassen sollten, stattdessen ging er auf die beiden zu und gab ihnen die Hand, und Siri sagte, ich kann etwas zu essen machen. Das ist nicht viel, sagte sie. Aber etwas essen muss man ja, oder? Manchmal vergisst man zu essen, und dann wird alles so unglaublich schwierig, und ich habe Brot und Aufschnitt und köstlichen Schinken und eine sehr leckere Marmelade, die ich von Liv zu Weihnachten bekommen habe.
Sie scheuchte alle in die Küche und packte die Lebensmitteltüten wieder aus. Sie nahm eine Tischdecke heraus und legte sie auf den Tisch, zog die Stühle heraus und sagte, setzen Sie sich, setzen Sie sich, Sie bekommen jetzt etwas zu essen, und Amanda und Mikkel und Jon und Alma und Liv setzten sich, und plötzlich machte Amanda den Mund auf und sagte: »Ich wollte Ihnen noch ein paar Fragen zu dem Sommer mit Mille stellen …«
Mikkel unterbrach sie.
»Es ist nur so … es ist nur so, wenn ich morgens aufwache, dauert es vielleicht eine Zehntelsekunde, bis mir einfällt, dass sie tot ist, und ich wünschte, es würde länger dauern.«
Er starrte auf den Tisch.
»Ich wünschte, es würde länger dauern«, wiederholte er.
Amanda nahm die
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