Das Verschwiegene: Roman (German Edition)
konnte sich aber nicht von den glänzenden Augen seiner Tochter losreißen.
Nach einiger Zeit setzte sich das Geburtstagskind mit seinen Gästen an den langen geschmückten Esstisch, um mit Pizza und Limonade und Kuchen zu feiern. Siri und Jon gingen langsam um den Tisch, schenkten Limonade in Pappbecher und halfen, Pizzastücke auf Pappteller zu hieven. Die Mädchen redeten alle durcheinander, außer Alma, die still war und den anderen zusah.
Die anderen beachteten sie jetzt nicht. Liebten sie nicht mehr. Nicht den silberglänzenden neuen Rock, nicht die kurzen schwarzen Haare und den neuen Pony, nicht die glänzenden Augen. Die Geburtstagsfeier war schon zur Hälfte vorbei.
Jetzt wurde Pizza gegessen, Limonade getrunken, nach dem Essen würde vielleicht getanzt werden, dann würden alle eine Tüte mit Süßigkeiten bekommen und nach Hause gehen. Die Gäste hatten sich so verhalten, wie ihre Eltern es von ihnen verlangt hatten: Sie waren zu Almas Geburtstagsfeier gegangen, und sie hatten sich anständig benommen! Alles war gutgegangen.
Ja, es war nett.
Ja, ja, wir haben Pizza bekommen.
Und, ja, Alma hat sich über das Geschenk gefreut.
Doch dann stand Alma auf und streckte die Arme in die Luft. Ihre Wangen waren rot, ihre Augen brannten. Die Mädchen hörten auf zu reden und starrten sie an.
»Papa, sieh nur!«, rief sie, ihr Körper zitterte, Tränen liefen ihr aus den Augen.
Siri ließ los, was sie in den Händen hielt (ein Stück Pizza und eine Serviette), und rannte um den Tisch herum, Jon war vor ihr da und fing Alma auf, als sie zu Boden sank.
»Alma, Liebes. Was ist los?«
Alma sah mit tränennassen Augen zu ihrem Vater auf und lachte.
»Ich weiß jetzt, dass alles gut wird. Ich bin so froh.«
Alma schlang die Arme um den Hals des Vaters, und er setzte sich mit der Tochter im Arm auf den Boden. Siri stand über ihnen, wohin sollte sie nur mit ihren Händen? Es war still. Zwölf stille, starrende Mädchen warteten auf Anweisungen. Jon sah Siri an und erkannte seine eigene Verzweiflung in ihrem Blick. Alma klammerte sich an den Vater und lachte laut an seiner Brust. Es war ein jubelndes Lachen voller Freude, Lust und Leben. Durch den dünnen Hemdstoff hindurch spürte Jon ihren Atem auf seiner Haut.
Er nickte Siri zu, richte dich auf, kümmere dich um die Mädchen, du musst etwas sagen. Sag etwas, Siri, mach etwas, steh nicht nur da!
Siri richtete sich auf und betrachtete die Mädchen – weiche Haare, weiche Haut, weiche Stimmen. Sie zwang sich zu einem Lächeln, aber Jon sah, dass sie sich lieber die Ohren zugehalten hätte, als wäre sie selbst ein kleines Mädchen.
Sie betrachtete die Mädchen.
»Alma …«, sagte sie hilflos und zog die Schultern hoch. »Alma fühlt sich nicht … wohl.«
Die Mädchen starrten Alma an, die auf dem Schoß ihres Vaters lag.
Dann sagte eine von ihnen: »Wenn Alma sich nicht wohlfühlt, warum lacht sie dann?«
A lma flüsterte: Was machst du, wenn du abends draußen bist? Triffst du jemanden, den du kennst? Andere Jugendliche? Kriegst du nachts Besuch von Jungen? Fickst du sie der Reihe nach?
Mille, die in dem Nebengebäude mit dem roten Anstrich wohnte, hatte viele schöne Kleider und viele schöne Schminksachen. Einmal abends wusch Mille Alma die kurzen, schwarzen Haare im Waschbecken und föhnte sie so, dass der schwarze Wirbel zusammen mit dem restlichen Pony fein säuberlich auf dem Kopf lag.
Mille sprühte die frisch geföhnten Haare mit massenhaft Haarspray ein.
»Damit der Wirbel unten bleibt«, sagte sie.
Alma und Mille befanden sich in dem kleinen Badezimmer, beide kicherten und drängten sich vor dem winzigen Spiegel an der Wand, und Mille betrachtete Alma und sagte, du siehst so gut aus, Alma. Dann holte Mille ihre vielen coolen Schminksachen und fragte Alma, ob sie geschminkt werden wolle, und natürlich wollte sie das.
Mille holte einen Stuhl aus dem Schlafzimmer und stellte ihn vor den kleinen Badezimmerspiegel, dann bedeutete sie Alma, sich auf den Stuhl zu setzen.
»Jetzt sollst du eine andere werden«, sagte Mille. »Davon träumst du doch, stimmt’s? Nach den Sommerferien in die Schule zurückzukehren und irgendwie eine ganz andere zu sein?«
»Weiß nicht«, sagte Alma unsicher. »Vielleicht.«
Als Mille fertig war, kniff Alma die Augen zu und zählte bis zehn. Eins zwei drei vier fünf sechs sieben acht neun zehn . Dann machte sie die Augen wieder auf. Sie betrachtete sich in dem kleinen Spiegel. Es gefiel ihr nach wie vor gut,
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